Til Schweiger, 46 Jahre, 2280 Leichen, 89 Einzelermittler und Kommissarenteams, der langlebigste Krimi des deutschsprachigen Raumes ist nicht totzukriegen. Am Sonntag läuft die 1000 Folge.
Tatort schauen ist ein Ritual. Rituale vertragen keine Abweichung. Sie verlangen nach Wiederholung. Am kommenden Sonntag wird der 1000. Tatort ausgestrahlt. Durchschnittlich zehn Millionen Menschen werden sich vor den Fernseher setzen, um einem mittelmässigen Unterhaltungsformat einen Sonntagabend ungeteilt ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Heissen wird diese Folge wie die erste vom 29. November 1970: «Taxi nach Leipzig» (siehe Kritik unten). Den nicht eingeweihten Rosamunde-Pilcher-Fans mag dieses feierliche Zeitopfer für Geschichten, die bemüht sind unsere traurige Wirklichkeit abzubilden, sektiererisch erscheinen. Ebenso die hysterischen Tweets der 180 000 Follower und die reisserischen Feuilletonkommentare vor und nach der Sendung. Denn im Tatort wird die Welt nicht neu erfunden. Die Abbildung der «normalen» Lebenswelt verträgt wenig Experiment.
Ein Grund, warum besonders innovative Ausflüge in den Autorenfilm wie der vom Nidwaldner Regisseur Urs Odermatt («Ein Hauch von Hollywood», 1998) von der eher konservativen Fan-Community des Internetportals «tatort-fundus.de» auf den letzten Ranking-Platz verwiesen wurden. Ein Grund auch, warum das von James-Bond-Vorspann inspirierte Fadenkreuz-Intro – bei deren Einspielung sass Udo Lindenberg an den Drums – bis heute nicht in Frage gestellt werden darf. Wenn es um den Tatort geht, sind die innovativsten Zeitgeister plötzlich konservativ. Dass dieses Intro für seine Anhänger einen pseudo-religiösen Ewigkeitswert besitzt, hat inzwischen auch der in den Sozialen Medien anfänglich mit Änderungsvorschlägen herumpolternde Hamburger Kommissaren-Darsteller Til Schweiger (Nick Tschiller) verstanden.
Im kollektiven Gedächtnis halten konnten sich nur wenige Geschichten. Vor allem das amouröse Schüler-Lehrer-Verhältnis aus dem Tatort «Das Reifezeugnis» (1977) von Hollywood-Regisseur Wolfgang Petersen, in dem Klaus Kinskis Tochter Nastassja die Lolita gab. Sowohl für Petersen als auch für Nastassja Kinski war dieser Tatort die Eintrittskarte nach Hollywood. In Erinnerung geblieben auch dank seiner späteren Fernsehkarriere ist «Prügelkommissar» Horst Schimanski (Götz George). Seine Tatorte schafften es ins Kino, als Til Schweiger das Schauspielhandwerk gerade zu lernen begann. Schimanski quittierte den Dienst im Jahr 1991, wie er angetreten war mit seinem Lieblingswort: «Scheisse». Derzeit kümmern sich 22 Ermittlerteams um die Sicherheit im deutschsprachigen Raum, darunter auch ein Frauenteam. Wo die erste Ermittlerin Marianne Buchmüller (1978–1980) für ihre Kollegen noch mütterlich Kaffee kochte, kämpfen weibliche Ermittlerinnen heute nicht mehr um Kompetenzen, sondern wie die Berliner Draufgängerin Nina Rubin mit der Work-Life-Balance.
Die Dienstälteste ist übrigens eine Frau: Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) ermittelt seit 1989 in Ludwigshafen. Mit 72 gelösten Fällen seit 1991 rangieren die Münchner Kommissare Ivo Batic und Franz Leitmayr an der Spitze. Popularität über die Tatort-Fangemeinde hinaus geniesst das komische Paar aus Münster, Professor Karl-Friedrich Boerne und Ermittler Frank Thiel.
Bei aller Statistik: Das erste Tatort-Opfer haben wir noch nicht mal hinzugezählt. Der Schauspieler Horst Lettenmayer gab zwar nicht Leib und Leben für den Tatort, für das Intro der Krimi-Reihe aber Augen und Beine. Die Gage für einen Tag im Einsatz: müde 400 D-Mark. Wiederholungshonorare hat er auch nach Klagen auf dem Rechtsweg nie bekommen. Dafür durfte er im Schimanski-Tatort «Der Pott» mitspielen: als Gewerkschaftsboss.
François Werner (Hrsg.), Tatort, das Buch. Moses Verlag 2014. 176 Seiten, Fr. 19.90. Internetportal www.tatort-fundus.de