Das iranische Drama «A Separation» wurde an der Berlinale mit dem «Goldenen Bären» ausgezeichnet. Asghar Farhadis Meisterwerk bietet anhand einer Scheidungsgeschichte einen Blick in die Zerrissenheit der iranischen Gesellschaft. Im Kinok.
Manche Filme brauchen Zeit, bis der Zuschauer in sie eintaucht, andere packen ihn mit der ersten Einstellung. «A Separation» gehört fraglos zur zweiten Art. Mitten drin ist man schon im Drama, wenn Nader (Peyman Moadi) und Simin (Leila Hatami) in einer mehrminütigen starren Einstellung frontal vor der Kamera, die die Position des Richters übernimmt, über ihre Trennung diskutieren. Man spürt zwar, dass das Paar sich auch nach vierzehn Ehejahren noch liebt, doch unterschiedliche Vorstellungen bezüglich der Zukunft lassen sie auseinanderdriften.
Nader will im Iran bleiben, um seinen an Alzheimer erkrankten Vater zu pflegen, Simin will mit der elfjährigen Tochter Tamreh (Sarina Farhadi – die Tochter des Regisseurs) emigrieren, weil ihr Kind nicht unter diesen Umständen aufwachsen soll. Ein Rätsel bleibt, wie diese regimekritische Aussage die Zensur passieren konnte.
Wie Asghar Farhadi in dieser Eröffnung keine Position bezieht, sondern beide Argumentationen gleichwertig nebeneinander stehen lässt, so wird er auch während des ganzen Films ausgewogen bleiben. Vierzig Tage soll die Tochter Zeit bekommen sich zu entscheiden, ob sie bei Vater oder Mutter bleiben will. Zunächst geht sie mit dem Vater.
Weil Simin zu ihren Eltern zieht, muss Nader eine Pflegerin für seinen kranken Vater anstellen. Simin vermittelt ihm die aus der Unterschicht stammende religiöse Razieh (Sareh Bayat). Da deren Mann arbeitslos und hochverschuldet ist, braucht ihre Familie dringend das Geld, doch mit der neuen Aufgabe ist sie völlig überfordert. Als Nader grobe Fahrlässigkeit bei der Pflege des Vaters feststellt, setzt er Razieh wütend vor die Tür. Schon am folgenden Tag sieht er sich aber mit einer schweren Anklage konfrontiert: Beim Rauswurf soll die schwangere Frau über die Treppe gestürzt sein und dadurch eine Fehlgeburt erlitten haben.
Was wirklich passiert ist, bleibt vorerst offen, denn Farhadi spart durch raffinierte Ellipsen zentrale Ereignisse aus. Eingeschränkt ist dadurch das Wissen des Zuschauers. Mehrfach wird er, wenn im Laufe der Auseinandersetzungen auf einer Polizeistation und in privaten Gesprächen Hintergründe ans Licht kommen, seine Einschätzung der Ereignisse und der Personen ändern müssen. Brillant greift hier ein Rädchen ins andere, keinen Leerlauf kennt das Drehbuch. Mit schnellen Schnitten, dynamischer Handkamera und Perspektivenwechsel verleiht Farhadi seinem wie ein Krimi aufgebauten Gesellschaftsdrama enormen Drive und Dichte. Unaufhaltsam drängt die Handlung voran und zieht dem Zuschauer mit stets neuen Wendungen immer wieder förmlich den Boden unter den Füssen weg.
Die scheinbar festen Grenzen von Gut und Böse, Richtig und Falsch lösen sich rasch auf, vermeintliche Sicherheiten werden zertrümmert. Wie Tamreh und Raziehs etwa fünfjährige Tochter Somayeh blickt der Zuschauer, der mittendrin im Geschehen ist und doch neutraler Beobachter bleibt, auf die Erwachsenen, die sich immer mehr in ein Netz von Lügen und Schuld verstricken.
Verurteilen mag man aber keinen der Protagonisten, denn klar wird, wie die Verhältnisse sie zu diesen Notlügen, die immer weitere Kreise ziehen, zwingen. Universell ist «A Separation» in diesem Diskurs über Wahrheit und Lüge, macht aber gleichzeitig im Aufeinandertreffen der beiden Familien den Riss sichtbar, der durch die iranische Gesellschaft geht.
Doppeldeutig ist folglich auch der Filmtitel zu lesen, der nicht nur die Scheidung von Nader und Simin meint, sondern auch die Spaltung des Landes in eine liberale Oberschicht und eine Unterschicht, deren Leben von Tradition und Religion bestimmt ist.
Kinok in der Lokremise. Heute Sa, 17 Uhr; Mo, 10., 20.30; Mi, 12., 15.30; Mo, 17., 20.30; So, 23., 17.15; Mi, 26., 20.30, und letztmals So, 30.10., 13 Uhr.