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Kultur
Ein Film in den Kinos und seine Heuballen in Baden − der mysteriöse Schweizer Künstler Not Vital hat diesen Frühsommer in seiner Heimat seinen grossen Auftritt.
Alles ging ganz schnell. Vor weniger als einem Jahr stand Not Vital zum ersten Mal im Museum Langmatt − und staunte nicht schlecht. Heute drängt das Publikum aus nah und fern ins Haus − und staunt kaum weniger: Vital, der Schweizer Künstler aus Sent, der sich sonst als geheimnisvolle Sphinx inszeniert, hat in der Langmatt handfest Hand angelegt.
Lustig im grossen Park verteilt liegen Silo-Heuballen, die seine Handschrift tragen. Sie sind aus weiss gespritztem Stahl, suggerieren eine hyperkünstliche Plastikoberfläche und verstehen sich (auch) als Antwort auf den augenscheinlich mit einer Nagelschere gepflegten englischen Rasen vor der Jugendstilvilla.
Not Vital sammelt fiktives Heu für schlechtere Zeiten, doch Kühe − natürlich − sind keine in Sicht. Die Ballen («Bale», 2018) sind Futterballen für den Kunsthunger der Besucher. Doch wenn sich Tiere daran die Zähne ausbissen, geht es manchen Menschen nicht anders: «Ist das Kunst?», fragt man sich beim Spaziergang durch den Park. In der freundlichen und coronakonformen Führung erfährt auch diese Frage eine Antwort.
Man muss dazu wissen: Not Vital ist bekannt dafür, sich für bizarre Konstellationen, Landschaften und Settings rund um den Globus zu begeistern. Wo es ihn packt, da packt er an. Genauso muss es wohl in Baden gewesen sein. Denn die Villa Langmatt, die sich als «Zeitkapsel» versteht, ist etwas vom Eigentümlichsten, was in der Schweizer Museumslandschaft zu finden ist.
In einer unscheinbaren Nebenstrasse hinter dem wieder strahlenden Kurtheater steht diese Jugendstilvilla, die endlich entstaubt werden muss. Der historische Park ist ein Traum − seit diesem Jahr sogar um das Treibhaus, das Gärtnerhaus und das Areal des ehemaligen Verwalters erweitert − doch das Gebäude ist vom Zahn der Zeit sichtlich gezeichnet. Sein Geheimnis behält es für sich: Cezanne, Renoir, Pissarro, Monet, Degas, Gaugin, die Kunstsammlung der Industriellen Sidney und Jenny Brown-Sulzer.
Tut man ein paar Schritte weiter Richtung Limmat und strandet vor dem pompösen Thermalpalast, den Mario Botta hier erstellt, wirkt das historische Ensemble in der Erinnerung wie ein schwindsüchtiger Patient.
Doch der verblichene Zauber einer grossen Schweizer Vergangenheit scheint Not Vital fasziniert zu haben. Bei einem Besuch auf Einladung von Direktor Markus Stegmann fing er Feuer für die Villa, das Gelände − und für die Keramik-Trouvaillen aus der chinesischen Han-Dynastie. Er wollte sich mit seiner Kunst hier niederlassen, und er konfrontierte die chinesischen Sammlungsstücke mit seinem zeitgenössischen Widerhall.
Nun steht in der Bibliothek Vitals Keramik, hergestellt in China, im Dialog mit den historischen Preziosen aus demselben Land, doch fast zweitausend Jahre jünger. Auch das kleine, schwarze Metalltischchen, auf dem er seine Schätze den Sammlungsstücken gegenüberstellt, stammt aus seiner Hand.
Vital schätzt zwar Baden, doch schliesslich wird ihm Beijing doch lieber sein. Dort unterhält er seit langem ähnlich wie Ai Weiwei im Künstlerviertel des Molochs eine eigene Ma- nufaktur. Als selbsternannter Künstlernomade arbeitet und lebt er zudem auch in Rio de Janeiro. Vor allem aber brennt er für die Landschaft Patagoniens, wo er sich eine Insel gekauft und einen unterirdischen Wohnsitz eingerichtet hat. Unter der Erde liegen die Räume deshalb, weil die Insel viel zu schön sei, «um hier ein Haus darauf zu bauen.»
Dieses Statement erfährt man im Dokumentarfilm über Leben und Werk des Künstlers, der nächste Woche in die Schweizer Kinos kommt. «Not Me − A Journey with Not Vital», gedreht von Pascal Hofmann, hatte am letzten Zürcher Filmfestival Premiere.
Es ist nicht der erste Film über den Menschen, der Fragen um seine Person lieber mit Kalenderbildern aus einem romantischen Engadin seiner Kindheit beantwortet als mit schlüssigen Sätzen. Bereits der Film «Half Man, Half Animal» scheiterte wie der jüngste am Anspruch, den Künstler fassen zu wollen. Not Vital hat recht, sich als Person aus der Aura seiner Werke fern halten zu wollen. Er macht damit seine Kunst doppelt mysteriös.
Not Vital im Park und in der Sammlung, 30.5.−22.8. Museum Langmatt, Baden, Gleichzeitig ist die junge deutsche Malerin Vivian Greven zu sehen. Der Film «Not Me – A Journey with Not Vital» kommt am 10.6. in die Kinos.