Nobelpreis-Jagd

Mario Vargas Llosa hat ihn zuletzt bekommen: Den Nobelpreis für Literatur. Heute wird sein Nachfolger bekannt. Kritische Bilanz eines angesehenen Preises. Jochen Kelter

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Es ist geschafft: Mario Vargas Llosa mit Familie und Freunden nach der letztjährigen Verleihung des Literaturnobelpreises. (Bild: epa/Lief R. Jansson)

Es ist geschafft: Mario Vargas Llosa mit Familie und Freunden nach der letztjährigen Verleihung des Literaturnobelpreises. (Bild: epa/Lief R. Jansson)

Heute wird der Nobelpreis für Literatur vergeben. Er wird seit dem Jahr 1901 verliehen und ist so etwas wie der Oscar der Film-, die Emmys der Fernsehszene oder die Grammys der Popmusik: die prestigeträchtigste E-Version einer U-Branche, die solche Preisauslobungen als Events zur Steigerung von Glamour und also von Absatz veranstaltet.

Man muss ihn sich erschreiben

Dem Nobelpreis muss man sich von zarter Jugend an entgegenschreiben und dabei auch von vornherein die richtige Gattung wählen, nämlich den, bitte nicht zu dünnen, Roman und in der Folge einen Stapel solcher Romane anhäufen. Und man muss sich zuvor am besten die renommierten nationalen oder sprachgeographischen Preise erschrieben haben, den Booker-Preis im englischen Sprachraum, den Büchner-Preis im deutschen, den Prix Goncourt für die frankophone Welt, den Premio Strega in Italien oder den Cervantes-Preis für die spanischsprachige Hemisphäre.

Denn auch bei Literaturpreisen gilt: Preiswürdig ist jemand, der bereits einen Preis gewonnen hat. Denn nicht nur der oder die mit dem Preis Geehrte, vielmehr auch die verleihenden Institutionen, Akademien und Städte sollen und wollen in glänzendem Licht erscheinen.

Immer wieder unerwartet

Der Literaturnobelpreis mit seiner Verleihung durch den schwedischen König mag da ein wenig drüber stehen: Er ist neben dem Hans Christian Andersen- Preis für Kinder- und Jugendliteratur der einzige weltweit bekannte Preis, der nicht an eine Sprache oder Kultur gebunden ist. Gleichwohl oder vielleicht gerade deshalb fördert er immer wieder unerwartete Preisträger– ich denke an den französischen Autor Jean Marie Gustave Le Clézio im Jahr 2008, auf den selbst in Frankreich niemand getippt hätte – und fragwürdige, zu allermindestens hinterfragbare Entscheidungen zutage. Wir haben im Schweizer Autorenverband «Gruppe Olten» jahrelang brav die Namen von Frisch und Dürrenmatt in die Nominierungslisten der schwedischen Akademie eingetragen, die uns zugeschickt wurden. Geholfen hat's nicht.

Vieles spielt hinein

Die Verleihung des Nobelpreises geschieht nicht nach demokratischen Spielregeln, sie obliegt richtigerweise einem Gremium von mehr oder minder Weisen. Da spielen dann politische Faktoren (Winston Churchill, 1953), geopolitische, kulturgeographische, modische, eurozentrische Faktoren oder ihr Gegenteil eine Rolle. Und natürlich wird hinter den Kulissen eifrig gerungen, gefeilscht und eingeflüstert. Fragwürdig scheinen mir aus rein literaturqualitativer Sicht etwa auch die Preisverleihungen an Hermann Hesse (1946) oder Dario Fo (1997).

Viele deutsche Preisträger

Auffällig ist die Häufung von Nobel-Ehren für deutschsprachige Autoren und Autorinnen in jüngerer Vergangenheit. Auf Heinrich Böll (der Nobelpreis von1972 hing eindeutig auch mit Willy Brandts Ostpolitik zusammen) folgten Günter Grass (1999), Elfriede Jelinek (2004) und Herta Müller (2009). Hinter die beiden letzten lassen sich aus meiner Sicht ebenfalls durchaus Fragezeichen setzen.

Und wenn auch nur die Hälfte von dem zutrifft, was «Der Spiegel» seinerzeit an Hintergrundinformationen über die Vorgeschichte der Preisverleihung an Herta Müller zusammengetragen hat, dann muss in diversen Netzwerken, in unterschiedlichen Funktionen und verschiedenen Positionen und auf allen möglichen Ebenen eine wahrhaftige Kamarilla am Werk gewesen sein, um am Schluss ihrer Kandidatin den Preis zu sichern. «Wir haben es geschafft!», soll am Schluss einer gejubelt haben.

Der schöne Schein

In anderen Worten: Auch beim Literaturnobelpreis dürfte der schöne humane Schein das knallharte Business mit dem Mäntelchen des Schöngeistigen überdecken. Heute wird der nächste Nobelpreisträger oder die nächste Nobelpreisträgerin bekannt.

Jochen Kelter ist Schriftsteller und lebt in Ermatingen.