«Roma» gewinnt drei Auszeichnungen, aber nicht den Hauptpreis. Trotzdem ist der Vormarsch von Netflix bei den Oscars kaum aufzuhalten.
Er trug ein Paar edle, schwarze Schnürer, doch eigentlich hätte Alfonso Cuarón in Turnschuhen zur Oscarverleihung erscheinen können. Der mexikanische Regisseur des Netflixfilms «Roma» joggte nicht weniger als drei Mal auf die Bühne, um einen Preis entgegenzunehmen: für die beste Kamera, den besten nicht-englisch-sprachigen Film und die beste Regie.
Der letzte und wichtigste Preis des Abends schien danach nur noch Formsache zu sein. «Roma» war mit zehn Nominierungen ins Rennen gegangen und galt deswegen in vielen Kreisen als Favorit. Doch das Rassismusdrama «Green Book» (ebenfalls dreifach ausgezeichnet) machte Cuarón und Netflix einen Strich durch die Rechnung und gewann den Oscar für den besten Spielfilm.
Cuarón war plötzlich nicht mehr der grosse Gewinner des Abends, sondern ein Stück weit auch der grosse Verlierer. Mit «Roma» hätte er Oscar-Geschichte schreiben können, denn Netflix war noch nie so nahe dran, den Preis in der Königskategorie zu gewinnen.
Netflix liegt derzeit mit vielen Kinobetreibern und grossen Filmfestivals wie Cannes im Clinch, weil das Streaming-Unternehmen seine Filme nicht für den Kinomarkt produziert, sondern für den Fernseher und die mobilen Geräte seiner Abonnenten. Dass solche Filme keine wichtigen Preise verdienen, ist eine Ansicht, die sich hartnäckig in einigen Kreisen der Filmbranche hält – und die «Roma» bei den Oscars wohl um den Hauptpreis brachte.
Wie lange halten sich solche Vorurteile? Der Vormarsch von Netflix bei der Oscarverleihung lässt sich auf Dauer kaum aufhalten. «I wanna thank Netflix», hiess es während der diesjährigen Preisverleihung mehr als einmal. «Roma» war nicht der einzige Netflixfilm, der ausgezeichnet wurde. Auch die siegreiche Kurzdoku «Period. End of Sentence» hatte der Streaminganbieter verantwortet.
In dieser Kategorie hat Netflix bereits vor zwei Jahren mit «The White Helmets» reüssiert, letztes Jahr gabs für den Dokumentarfilm «Icarus» einen Preis. Netflix wurde bislang 29 Mal nominiert und gewann in den letzten zwei Jahren sechs Oscars (darunter die drei für «Roma»).
Netflix, das lange für eigenproduzierte Serien wie «House of Cards» oder «Stranger Things» bekannt war, startete vor zwei Jahren eine regelrechte Filmoffensive. Der Streaminganbieter finanzierte die neuen Werke von früheren Oscargewinnern wie Steven Soderbergh und den Coen Brothers.
Und dieses Jahr veröffentlicht Netflix mit «The Irishman» ein neues Gangsterepos von Martin Scorsese (Oscar 2007 für «The Departed»). Denkbar, dass der Film mit Robert de Niro und Al Pacino bei der Oscarverleihung 2020 das nachholt, was «Roma» versäumt hat.