In der Ausstellung «Memories of Textiles» in der Kunsthalle Ziegelhütte in Appenzell sind Arbeiten der Künstlerin Nesa Gschwend zu sehen.
Malerei, Zeichnung, Installation und Performance: Nesa Gschwend bewegt sich in all diesen Ausdrucksmedien mühelos. Seit 2006 bezieht die in Altstätten aufgewachsene Künstlerin textile Techniken wie Sticken oder Knüpfen verstärkt in ihr Schaffen ein. Diesen Schwerpunkt findet man auch in ihrer aktuellen Ausstellung «Memories of Textiles» in der Kunsthalle Ziegelhütte in Appenzell.
«Textilien berühren uns ein Leben lang. Wir werden in ihnen geboren, tragen sie täglich auf der Haut, verlassen darin diese Welt. Keine Person kommt ohne sie aus», erklärt Gschwend ihr Interesse am Arbeiten mit Stoffen und Fäden. Konsequent zeigt sie in «Memories of Textiles» sodann Aspekte auf, unter denen Textilien einem globalen Kollektiv wie auch einer Einzelperson bedeutsam sind.
Im Erdgeschoss trifft man auf die Installation «Living Fabrics», ein raumfüllendes Werk aus Stoffobjekten am Boden und Bilderteppichen an der Wand. Rund 1700 Personen aus 65 Nationen konnte Gschwend seit 2015 dafür gewinnen, persönlich bedeutsame Stoffe bei interaktiven Aktionen gemeinsam mit der Künstlerin zu verarbeiten. Menschen aller Altersgruppen, Schichten und Hautfarben kamen so fürs textile Schaffen zusammen, erlebten das Bereichernde am Miteinander.
«Eine Gesellschaft, die sich für Internet und Wirtschaft öffnet, aber gleichzeitig gegenüber den Menschen, die zu ihr gehören, verschliesst, kann nicht funktionieren», gibt die Künstlerin einen Ansatz ihres Projekts zu bedenken. Sie wird es fortführen. Schon am 9. Februar 2020 findet in Appenzell die nächste partizipative Aktion von «Living Fabrics» statt.
Aufgewachsen ist Nesa Gschwend in Altstätten. Nach einer Schneiderausbildung in St. Gallen zieht sie in die Welt hinaus. Im italienischen Bologna besucht sie die Nuova-Scena-Theaterschule. Während der 1980er-Jahre lebt sie in Berlin und gründet dort als Co-Leiterin das Aktionstheater Panoptikum für Performances im öffentlichen Raum. Zurück in der Schweiz heiratet sie, studiert Kunst, wird Mutter. Seit 1996 wohnt und arbeitet Gschwend offiziell in Niederlenz im Aargau. Doch die mit Werkbeiträgen und Atelierstipendien prämierte Künstlerin treibt es für ihre Projekte und Ausstellungen immer wieder fort von daheim, beispielsweise nach Indien oder Georgien.
Autobiografisch sind die Werke der Künstlerin im Geschoss darüber. Unter dem Titel «Relations» transformiert Gschwend Bettwäsche aus der Aussteuer ihrer Vorfahren sowie persönliche Kleidung. Aus Baumwolle, Wachs und Garn formt sie Möbel und menschliche Umrisse. Auf diesem Weg verarbeitet sie bildlich ihre eigenen, mit den Textilien verbundenen Erinnerungen.
Im obersten Stock nehmen einen schliesslich zahlreiche Köpfe in Empfang. Denn als Köpfe identifiziert man die 36 Gebilde sofort, obgleich ihnen Augen, Münder, sogar die Gesichtshaut fehlen. Vibrierend und schnell scheint die Künstlerin dafür den Stift übers Papier gejagt zu haben. Erst aus der Nähe wird klar, dass sich statt Gezeichnetem sorgsam angeordnete Haare und alte Fäden auf der Fläche tummeln.
Die so erschaffenen Köpfe sind anonym, verraten keine Lebensgeschichten. Was sie dafür umso intensiver offenbaren, ist der Blick auf ein Inneres, auf eine unverstellte Seele. Das berührt tief. Bis unter die Haut.
«Memories of Textiles», bis 15.3. 2020, Kunsthalle Ziegelhütte, Appenzell