Pop
«Wir fanden beim Räumen einen Schatz»

Boris Blank hat schon vor der Zeit mit Yello Musik gemacht. Nun hat er die Kassetten im Ofen gebacken – und gerettet.

Olaf Naumann
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Boris Blank steht nicht gerne auf der Bühne: «Allenfalls würde man sehen, wie ich mit dem Kopf wackle.»

Boris Blank steht nicht gerne auf der Bühne: «Allenfalls würde man sehen, wie ich mit dem Kopf wackle.»

Siggi Bucher

Hoch oberhalb der Stadt Zürich entsteht die Musik der Zukunft. Hier befindet sich das Studio des weltweit erfolgreichen Elektronik-Duos Yello, über das Ringo Starr einmal sagte: «They are fucking brillant.» Im Erdschoss einer herrschaftlichen Villa, die dem Sänger und Unternehmer Dieter Meier gehört, bastelt dessen Mitstreiter Boris Blank aus Elektronikelementen, Samples und Alltagsgeräuschen clubtaugliche Welthits, die «The Race» oder «Oh Yeah» heissen. Blank ist 62 und fühlt sich gerade wie ein kleiner Junge, denn er hat nicht nur die ultimative Solo-Werkschau «Electrified» zusammengestellt, sondern auch eine spielend leicht zu bedienende Musik-App für das iPhone entwickelt.

Herr Blank, Ihr Studio befindet sich im Gartengeschoss der Villa von Dieter Meiers Familie oberhalb der Stadt Zürich. Schätzen Sie die Natur als Ort der Inspiration?

Boris Blank: Wenn man so will, ja. Hier habe ich den Vorteil, dass ich im Grünen arbeiten kann, ich mag keine hermetisch abgeschlossenen Studios, in denen ein Vakuum entsteht.

Kürzlich veröffentlichten Sie ein Album mit der Sängerin Malia, nun erscheint das Box-Set «Electrified» mit unveröffentlichter Musik aus Ihrem Archiv. Ist das der Beginn der Boris-Blank-Solophase?

Ja. Das Projekt mit Malia zog sich über zwei Jahre hin. Als wir vor drei Jahren dieses Studio hier umbauten und die Bandmaschinen und Mischpulte rauskippten, sind Ian Tregoning und ich auch das Archiv durchgegangen. Beim Räumen stiessen wir auf einen Schatz voll unveröffentlichter Stücke. Ian Tregoning, der alte Yello-Freund, meinte: «Boris, we have to do something. This material is unbelievable.»

Was hat Sie beim Stöbern in Ihrem Archiv am meisten überrascht?

Eine Kiste voller Musikkassetten. Es waren Hunderte. Viele davon klangen noch erstaunlich gut. Einige Tonbänder waren aber nicht mehr abspielbar, da sich die Oberfläche zersetzt hatte. Doch es gab Rettung. Ein englischer Chemiker hatte herausgefunden, dass man, wenn man die Bänder zirka eine Woche lang bei 40 Grad Celsius backt, das Material noch genau einmal abspielen, digitalisieren und so retten kann.

Die ältesten Stücke auf «Electrified» stammen aus dem Jahr 1977, noch aus der Zeit vor Yello. Hatten Sie
damals schon Ihren eigenen Stil gefunden?

Ich weiss gar nicht, ob ich selber meinen Stil analysieren kann, weil ich ein Dilettant und kein Musiker bin. Ich setze die Klänge, Rhythmus- und Bassmuster zusammen wie ein Maler mit Farben umgeht. Ich weiss, dass Kinder gerne diese Musik hören, sie nehmen in der Musik von Yello irgendwelche Geräusche und Atmosphären wahr, die sie lustig finden.

In den vergangenen 35 Jahren haben Sie mit Yello zwölf Millionen Platten verkauft. Warum bezeichnen Sie sich noch immer als Dilettant?

Sicher entwickelt sich durch gewisse Wünsche und Sehnsüchte ein Talent weiter, aber ich gehe immer noch mit kindlicher Freude an die Musik heran. Es wäre anders, wenn ich behaftet wäre mit Kenntnissen über Noten, Partituren und Harmonien. Als wir noch unser Studio in der Roten Fabrik hatten, besuchte mich mal ein Karajan-Schüler, um sich meinen Fairlight-Synthesizer anzuschauen. Er meinte, er sei ganz neidisch, wie ich spielen könne, ohne Hemmungen zu haben, irgendetwas zu tangieren, was es schon gibt.

Sie haben die App «Yellofier» entwickelt. Sie gilt als eine der besten Musik-Apps für das iPhone. Was kann sie?

Diese App kommt ganz nah an meine Beziehung zu Musik heran. Mit ihr kann ich innert Minuten aus den quietschenden Reifen eines vorbeifahrenden Autos Musik machen. Ein Kindergarten in Los Angeles arbeitet mit meiner App anstelle von Flöten oder Pianos. Neulich war ich im Schifffahrtsmuseum in Lissabon, dort gibt es die Kanonen von Vasco da Gama. Mit ihnen und meiner App habe ich ein Musikstück gemacht. Das könnte ich Ihnen schicken und Sie könnten daran weiterarbeiten.

Sie haben sogar die Sample-Technik um Jahrzehnte vorweggenommen. Wie kam es dazu?

Ja, aber das haben andere auch gemacht. Ich bin heute noch ein unglaublicher Fan von Geräuschen und Räumen. Schon in der Schule klopfte ich auf den Bänken immer den Rhythmus und machte damit den Lehrer sauer. Darauf bekam ich eine Strafarbeit aufgebrummt: «Blank, du schreibst bis morgen eine Strafarbeit zum Thema Klopfzeichen: Verständigungsmittel der Primitiven.» Und dann habe ich in diesem Aufsatz über nichts anderes geschrieben. Ich war so dankbar, endlich jemanden gefunden zu haben, der die Klopfzeichen versteht.

Manche Stücke auf «Electrified» könnten auch von Yello sein. Sie hätten eigentlich auch Dieter Meier ins Studio einladen können.

Sicher. Nun ist es so, dass ich nicht arbeite wie normale Musiker, die demokratische Übungen vollziehen. Ich arbeite jeden Tag im Studio, deshalb entstehen während einer Produktion sehr viele verschiedene Stücke. Für die nächste Yello-Platte habe ich fast 100 gemacht. Wie ein Eichhörnchen Nüsse vergräbt, fülle ich Ordner mit Stücken. Nur vierzehn haben wir ausgewählt.

Sie haben auch schon Musik für Hollywoodfilme gemacht.

Das war eine reine Dienstleistung. Als Egomane brauche ich meine Spielfreiheit, einen Spielplatz für mich. Die Arbeit für Hollywood war ein Kompromiss. Das war nie meine Welt, zumal ich erdrückt werde von der Idee, eine Stimmung auf den Punkt zu bringen. Damit vergewaltige ich meine Fantasie.

Dieter Meier würde gerne öfter auftreten. Sie nicht. Warum?

Dieser Kampf ist nicht mehr akut, weil Dieter in diesem Jahr seine Soloprojekte realisiert und sich endlich seinen Wunsch erfüllt hat, auf die Bühne zu gehen. Seine Band hat nichts mit Yello zu tun. Es ist gut, dass wir jetzt auch mal auf Solopfaden wandeln. Im nächsten Jahr kehren wir mit der neuen Yello-Platte wieder auf die Hauptstrasse zurück. Live-Auftritte im herkömmlichen Sinn sind für mich undenkbar. Ich hätte keine Lust, mich hinter diese Berge von Computern und Synthesizern zu stellen. Allenfalls würde man meine Frisur sehen und ich würde mit dem Kopf wackeln. Das macht keinen Spass.

Sie sind mit Yello so gut wie nie live aufgetreten. Heisst dass, dass Ihr Gehör intakt geblieben ist?

Das stimmt. Wobei ich hier im Studio immer sehr laute Musik höre. Ich glaube, wenn man das liebt, was man macht, dann ist dein Gehör dafür bereit und es schadet ihm nicht. Der Schaden entsteht erst dann, wenn der Lärm wehtut.

Was fasziniert Sie an elektronischer Musik?

Der Klang, die Handhabung, die Architektur, die Möglichkeiten eines Sequenzers, mit dem ich Melodien und Noten verändern kann. Nach 35 Jahren konnte ich so viele Erfahrungswerte sammeln, dass ich weiss, welche Maschinen mir dienen und welche nicht. Ich arbeite auch viel mit gesampelten Sachen und verändere diese wie ein Wissenschafter, der mit einem Mikroskop in eine scheinbar glatte Oberfläche eintaucht und diese dann verändert, Obertöne moduliert oder auch mal völlig verunstaltet. Das Musikmachen besitzt für mich fast schon einen wissenschaftlichen Forschungsaspekt.

Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Computer und Geist, zwischen Gehirn und Seele?

Ich glaube, dass man diese Oszillatoren und Filter beseelen und ihnen einen menschlichen Klang entlocken kann. Der Mann, der den Computer erfunden hat, besass ja auch eine Seele. Das hört man in der Musik von Yello.

Boris Blank Electrified. Universal.