Basels schrägste Schlagerherren feiern ihr Ende mit einer fulminanten CD. Am Freitag gibts in der Tramstrasse 66 in Münchenstein etwas auf die Ohren.
Europa ist am Ende. Das stimmt auf viele Arten und Weisen, hier aber zählt die: Die Band «Europa: Neue Leichtigkeit» hat das Ende ihrer Ära verkündet. Oder einer Ära. Festlegen muss man sich da nicht. Wichtig ist vielmehr: Anlass für eine Gala!
So klang es im November, als die «Band der neuen Leichtigkeit» auf Crowdfunding für ihre Triple-CD sammelte und eine grosse Gala zum Release des Albums am 1. Dezember ansagte.
Es wurde mit der grossen Kelle angerührt, so wie bei dieser Band immer mit der grossen Kelle angerührt wird: Videos voller blitzender Effekte, Lasershows, bunte Zwirbel und Statements, ausgerufen in goldenen Anzügen: «Dies ist das Lied gegen Ängste, das durch die Melodie besticht / Es ist zwar frei von Argumenten, doch gegen Ängste helfen Argumente nicht.»
Vier Jungs, die die flache Dekadenz feiern, deplatzierten Übermut, ironische Plastikrosen und grelle Goldketten. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick steckt hinter dem ganzen Brimborium aber eine Band, die genau weiss, was sie tut und genau studiert, was sie sagt.
Auch jetzt: Einen Monat später steht Sänger Jonas Bischof im alten Münsterpavillon «Roter Korsar» an der Basler Uferstrasse und rührt in einem grossen Topf über einem Feuer. «Borschtsch» sagt er fachmännisch, «für die Velokuriere.» Hier spielen «Europa: Neue Leichtigkeit» vor ihrem Ende noch die letzten Konzerte, halten Lesungen, kochen Mahlzeiten.
Die Gala ist vorbei, aber im Inneren des Korsars lebt der Prunk weiter: Das Musik-Equipment ertrinkt in Plastikblumen, am Kleiderständer hängen schimmernde Sakkos. Rechts auf einem Tisch liegt ein grosser Koffer mit Schätzen aller Art: Eine Krawattennadel mit goldenem Saxophon, Parfums, Spielgeld, Rasierschaum, alles, was das Fan-Herz begehrt. Es ist der Souvenir-Koffer der Band, aus dem man sich etwas nehmen darf, wenn man ihren Download-Code kauft, oder jetzt eben diese fulminante Scheibe.
Gigant mit Schmankerl
Die Triple-CD ist gigantisch. Bestehend aus 123 Tracks, buntem Booklet und Songtextbuch, in dem Bischof sich zu einem 13-seitigen Nachwort zu Europa hat hinreissen lassen. Die Lieder sind auch alle da, alte und neue, das wahre Schmankerl ist aber die Extra CD, genannt «Seaside». Sie verwurstelt Gedanken, Parolen und akustische Experimente, die wie ein irrwitziger Wirbelsturm durch das «Europa»-Universum wüten.
«Willst du drei Orangen?» fragt Samuel Weniger und zeigt auf einen Plastikeimer. Weniger ist in der Band für die «Rhythm Section» verantwortlich, sprich: Diverse Instrumente. Er und Bischof sind im Moment die Einzigen hier, die anderen Beiden, Ruedi Tobler und Andrin Uetz kommen erst am Abend, eine Lesung aus dem Songtextbuch ist geplant.
Aber jetzt muss erst einmal für die Velokuriere gekocht werden, das hat man spontan so organisiert. Weniger und Bischof laufen herum, braten Pilze an, lassen Musik laufen und plaudern über die Vergangenheit.
Es gibt viel zu erinnern: Vor sieben Jahren beschlossen Bischof, Tobler und Weniger, dass Techno nicht die geeignete Richtung war, um Erfolg zu haben. «Es war zu streng», meinte Bischof in einem Interview 2016, als er über die Anfänge als Techno-Kombo sprach. «Der Erfolg blieb aus und den Girls gefiel’s nicht. Wir brauchten einen Neuanfang. Wir brauchten Andrin.» Andrin Uetz, eleganter Musikwissenschaftler, hatte zwar wenig Ahnung von der Praxis, dafür aber ein erfolgsversprechendes Konzept: Schlagermusik. «Damit lässt sich halt noch richtig Geld verdienen.»
Drei von ihnen wohnten damals in Basel, und der Geist dieser Band schwappte schnell über: Plötzlich gab es überall Bad-Taste-Partys, die natürlich immer nur von gutem schlechtem Geschmack waren, genau wie die Anzüge von Jonas Bischof. Kein Muster, das dieser Mann noch nicht an seinen Körper gelassen hat. Und plötzlich traf man sich mindestens einmal im Monat in einem Vereinskeller im Kleinbasel, geführt von einer entzückenden Herrenrunde mit Ukulelen, bekannt unter dem Bandnamen Hula Hawaiians.
Auf deren Repertoire folgte regelmässig die neue Leichtigkeit, eine Band, die Schlager spielte, wie man ihn noch nie gehört hatte, wahnwitzig, bunt, ironisch. Rentner sassen neben Kunststudenten, man freute sich, man klatschte, man teilte sich belegte Brötli, man trank billigen Rosé. Es fühlte sich an, als hätte man etwas Magisches entdeckt, eine Zeitkapsel, die einmal pro Monat aufging und zur Masslosigkeit einlud. Es war Musik, die verband. Das hört sich nach Kitsch an, aber Kitsch ist die Wunderwaffe dieser Band, ein wohl durchdachter, inbrünstig gelebter Kitsch, höchst ironisch und pointiert. «Man soll die seichte Unterhaltung nicht den seichten Köpfen überlassen», sagte Andrin Uetz einmal.
Mittlerweile sind die Velokuriere angekommen und löffeln Borschtsch aus Plastiktellern. «Wie bei der Grossmutter!» ruft einer anerkennend und Bischof schaut zufrieden. Bisschen Grossmueti, bisschenPlastik, bisschen Gloria, bisschen Büezer. So muss Europa enden.
Konzert Freitag, 15. Dezember, 21 Uhr 1.Stock, Tramstrasse 66, Münchenstein.