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Eine Stunde Verspätung, schlecht abgemischter Sound, aber schöne Gesänge: Das Konzert von Ms. Lauryn Hill war «Killing me softly», aber nicht von Anfang an.
Ist sie «Ready or Not»? Die Frage, angelehnt an einen ihrer grossen Hits mit den Fugees, stellt sich bei Ms. Lauryn Hill vor jedem Konzert. Die US-amerikanische Rapperin und Sängerin ist zwar berühmt für ihre Songs aus den 90er-Jahren. Aber auch berüchtigt für ihre notorische Unzuverlässigkeit.
Das weiss man bei der Baloise Session. Das Basler Indoor-Festival hatte sie schon 2008 im Programm. Doch fiel ihr Auftritt damals ins Wasser, Hill sagte «aus persönlichen Gründen» ab.
Zehn Jahre später wagt Festival-CEO Beatrice Stirnimann einen neuen Anlauf, einen kostspieligen auch: Ms. Lauryn Hill wird ausserhalb ihres Tourneeplans für einen exklusiven Auftritt in die Schweiz eingeflogen.
Die Nachfrage: beachtlich. Innert fünf Minuten waren die 1500 Tickets verkauft. Die Fans verzeihen ihr die Unberechenbarkeit, ebenso das Versanden ihrer künstlerischen Karriere. Denn an ihr mitreissend eklektisches Solo-Album «The Miseducation of Ms. Lauryn Hill» (1998), auf dem sie Hip-Hop mit Soul und Reggae vereinte, vermochte sie nie mehr anzuknüpfen.
Dass sie launisch und unberechenbar ist, bekommt das Publikum zu spüren. Denn anstelle von Hill hat zunächst John Legend einen Auftritt: Auf den Bildschirmen, die die Bühne umrahmen, wird sein Konzert vor drei Wochen übertragen. Das passt, startete er seine Karriere doch als Pianist in ihrer Band. Jetzt überbrückt er die Wartezeit.
Nach 45 Minuten verlassen erste geladene Gäste den Saal. Kommt sie noch? Im Zweifel was von Zweifel, sagt man sich, greift zu Werbegeschenken des Chipsherstellers («Graneo», ein Snackprodukt, nicht zu empfehlen) und wird kauend aus dem Halbschlaf gerissen, als Hill nach zweimaliger Ankündigung und einstündiger Verspätung doch noch auftritt.
Sie feiere das 20-Jahr-Jubiläum ihres Soloalbums, verkündet sie, verspricht Liebe und lädt zur Reise durch das Werk, allerdings nicht in chronologischer Reihenfolge. Dass dies nicht von Beginn mitreisst, liegt am eigenwilligen Soundmix.
Das in tiefen Lagen wummernde, mitunter brachiale Schlagzeugspiel von George McCurdy deckt viele Nuancen zu. Dass mit Matthias Loescher ein Gitarrist auf der Bühne steht, nimmt man über weite Strecken gar nicht wahr. So erschrickt man beinahe, als er mit einem Rocksolo plötzlich aufdrehen darf. Es dauert auch, bis sich die in Hall getauchte Trompete von Igmar Thomas durchsetzt, unter anderem gegen vom Sequenzer eingespeiste Bläsersätze. Organisch klingt anders.
Der Sound ist kein purer Genuss, auch nicht für Lauryn Hill, wie es scheint: Immer wieder signalisiert sie ihrem Bühnenmischer, dass sie mit dem Monitormix unglücklich sei, nestelt zudem an ihrem In-Ear-System herum. Die Instrumentalisten um sie herum scheint sie auszublenden, diese wirken wie Staffage zu den eigentlichen Stars: den Stimmen von Hill und ihren drei Backgroundsängerinnen.
Einzig mit ihnen interagiert sie spürbar, gesanglich perfekt abgestimmt, präzis und virtuos. In den seltenen Piano-Passagen, in denen filigrane Akzente durchdringen, kommen die Chöre besonders prächtig zur Geltung: etwa in Lauryn Hills zärtlicher und zugleich erhabener Liebeserklärung an ihr erstes Kind, «To Zion», oder im anschmiegsamen R&B-Song «Superstar». Und dann beeindruckt sie auch mit ihrer Vielfalt, von Scat bis Rap.
Doch so frenetisch ihr Album vor 20 Jahren begrüsst worden ist: Die Stimmung bleibt lange Zeit reserviert. Vielleicht, weil ihre Solosongs nicht mehr so vertraut sind, vielleicht auch, weil die Live-Arrangements zum Teil nicht mehr ganz zeitgemäss wirken. Eigenartig zudem, dass sich Hill auf einmal ans Publikum wendet und ihre damalige Absicht erklärt: Die Musik der Jugend den Alten näherzubringen – und umgekehrt.
Grösste Euphorie entfacht sie schliesslich mit ihrem Fugees-Material: Zwar beginnt sie ihr Cover von «Killing me softly with his Song» leicht hastig phrasiert, findet dann aber zum beseelten Jazzgesang, mit dem schon Roberta Flack betörte.
Und als man schon nicht mehr damit rechnet, kehrt sie für zwei Zugaben zurück: «Fu-Gee-La» und «Ready or Not». Vertraute Melodien, vom Publikum voller Freude mitgesungen. Versöhnliches Ende eines nostalgiedurchtränkten Abends, von dem man gerne nur schwärmen möchte. Aber nicht vorbehaltlos kann.