An der 9. Ausgabe von «Jazz geht Baden» hat man mal mehr, mal weniger lustvoll an der Jazztradition vorbeigespielt.
Der grosse Jazzmagier Duke Ellington hat einem seiner über tausend Stücke folgenden Titel gegeben: «It Don’t Mean a Thing If It Ain’t Got that Swing». Ins Deutsche übersetzt: Es ist nichts wert, wenn es nicht swingt. Heutzutage steht dieses Motto bei den meisten Jazzmusikern nicht mehr hoch im Kurs, für sie scheint viel mehr zu gelten: Was swingt, ist von gestern. Tatsächlich wurde man beim Besuch der 9. Ausgabe von «Jazz geht Baden» so gut wie nie in Swing-Schwingung versetzt.
Bei der Anti-Swing-Haltung handelt es sich nicht um eine böse Verschwörung, sondern um ein reines Zeitgeistphänomen. Dieser Zeitgeist kann allerdings ganz unterschiedliche Formen annehmen. Etwa die Form der mit Pathos unterfütterten sensiblen Wohlklang-Betulichkeit, die beim Solo-Rezital des Pianisten Colin Vallon über weite Strecken dominierend war: Auch wenn es durchaus das eine oder andere polytonale Störmanöver gab, hätte man sich diese schöne Musik gut als Soundtrack für einen Film, in dem das einfache Leben bulgarischer Schafhirten andächtig gefeiert wird, vorstellen können. Einen starken Kontrast bildeten die Passagen, in denen der Flügel durch einfallsreiche Präparationen in eine Mischung aus Tinguely-Maschine und Cage-Piano verwandelt wurde.
Die nervige Nerd-Variante des Zeitgeist-Jazz wird durch die Gruppe Overseas beinahe perfekt verkörpert: Der aus Norwegen stammende Bassist Eivind Opsvik hat für sein Quintett hochkarätige Kollegen aus New York zusammengetrommelt und dreht in seinen allzu ausgetüftelten Stücken melodiöse Anmut so lange durch den Fleischwolf, bis diese total erschöpft den Geist aufgibt. Der Gitarrist Brandon Seabrook legt dabei beim Durchkreuzen von Erwartungen einen Furor an den Tag, wie man ihn selten zu hören bekommt. Dass es dieser überdrehten Gruppe vorbehalten war, den Schlusspunkt unter den abwechslungsreichen Konzertreigen in der Stanzerei zu setzen, hatte durchaus eine gewisse Logik.
Was gab es sonst noch? Der Jodel-Revolutionär und Oberton-Sänger Christian Zehnder untermauerte seine Einzigartigkeit mit einer charismatisch-theatralischen Performance. Die Gruppe Ghost Town zeigte mit ihrer düsteren Modernisierung amerikanischer Hinterwäldler-Musik, dass sich auch mit Schweizer Pass «Americana»-Feeling erzeugen lässt.
Und das 10-köpfige Bottom Orchestra des Bassisten Kaspar von Grünigen präsentierte eine spannungsvolle Collage aus ganz unterschiedlichen Textbausteinen zum Thema Arbeit sowie Anleihen bei Neuer Musik, Free Jazz und bei der Klassenkampfmusik von Brecht und Eisler.
Da war ein ambitioniertes, aber zugängliches Werk zu hören, das in seiner unsentimental-widerborstigen Machart Erinnerungen an gewisse Stücke des Saxofonisten Steve Lacy weckte, der ja ebenfalls politisch sehr interessiert und engagiert war. Vom musikalischen Zeitgeist war dieses Konzert zwar weit entfernt, aber vielleicht gerade deswegen lieferte es den interessantesten Kommentar zum Ungeist unserer Zeit.