Zum Interviewtermin im Zürcher Hotel Dolder Grand erscheint Herbert Grönemeyer (58) mit einem breiten Lächeln. Dies bedeutet aber nicht, dass der wachsame Zeitgenosse keine kritischen Worte für die aktuelle Entwicklung fände.
Herbert Grönemeyer, Sie wirken bestechend gut gelaunt. Stimmt das?
Herbert Grönemeyer: Da haben Sie völlig recht. Ich habe eben noch darüber gescherzt, dass man mir früher, vor 30 Jahren, hier im Dolder keinen Einlass ins Restaurant gewähren wollte, weil ich so sträflich «underdressed» war – denn ich trug nicht mal eine Krawatte! (lacht) Da sieht man, wie die Zeiten sich ändern, auf beiden Seiten. Aber bevor man diese Anekdote nun falsch versteht: Ich bin eben gerade gut gelaunt, weil ich hier in der Schweiz bin.
Ich war lange mit einer Schweizerin zusammen. Das ist leider auseinandergegangen, aber ich bin immer noch sehr gerne in der Schweiz. Ich mag dieses Land.
Solange man akzeptiert, dass wir unterschiedlich sind, sollte das kein Problem darstellen. Viele Deutsche wissen das nicht, aber mit den Schweizern lässt sich sehr gut frotzeln.
Eigentlich weniger, als man erwarten könnte. Denn ich singe meine Lieder ja grundsätzlich zu Beginn immer mit englischem Bananentext, während ich sie komponiere. Die Lieder sind also immer bereits in gewissem Sinne Englisch.
Unbedingt! Das Album gibts mit Sicherheit in Kürze auch auf Englisch – nicht, weil wir müssen, sondern weil uns dieses Projekt letztes Mal so viel Spass gemacht hat. Ich habe die USA nach unserer Tour ja von der Ost- zur Westküste bereist. So versteht man den Geist dieses Landes: Vor allem prägt Amerika ja diese endlose Weite – irgendwie esoterisch! (lacht) Aber ebenso hat mich der positive Geist fasziniert. Beide Dinge haben auch das aktuelle Album beeinflusst.
Es gibt da zwei Seiten: einerseits natürlich die Tatsache, dass die Amerikaner uns extrem unterstützt haben, andererseits dass wir – wie man am Beispiel Berlins sieht – auch stets in Nachbarschaft zum Osten gelebt haben. Und ebendiese Position, die hat natürlich was von einem «Spreizschritt», wie sich immer deutlicher zeigt.
Genau! Es geht darum, das Land zu mögen, was völlig richtig und schön ist, aber andererseits auch darauf zu schauen, dass dieses «Mögen» nicht bald schon wieder einer Arroganz weicht, nach dem furchtbaren Motto: «Am deutschen Wesen soll die Welt genesen!» Also bloss kein unkritisches «Tralala, wir sind wieder wer!». Diese eigene Mitte für sich zu finden, das kennen wir Deutsche ja gar nicht mehr. Das hiesse, eine aktive Haltung einnehmen, der Welt gegenüber.
Ja, in diesem Sinne. Nur, dass dies heute nicht nur für Deutschland, sondern auch für Europa gilt. Man muss Europa die Chance geben, sich dahin zu entwickeln, also in diese Richtung zu streben.
Das ist richtig. Dies kommt auch nicht von ungefähr: Das sieht man an all den Problemen und Konflikten, die uns in Atem halten, seien es nun die ganzen Flüchtlingsströme aus Afrika und Syrien oder in Europa auch der Ukraine-Konflikt. Die Frage scheint: Was machen wir denn nun aus dieser schwierigen Situation?
Also: Für mich ist das 21. Jahrhundert eigentlich das Jahrhundert der Mitmenschlichkeit. Ich rufe das jetzt einfach mal aus! (lacht) Irgendwer muss ja anfangen damit. Das heisst, dass wir nach diesem ganzen Wahn, alles nach Kapital und Gewinn zu beurteilen, wieder merken, was stattdessen Sinn macht: Mitgefühl, Empathie, Zusammenhalt – aber kein Mitleid! Wenn der Rest der Welt uns mittlerweile so nah ist, dass Syrien nicht weiter scheint als der Nachbarort auf der anderen See-Seite, dann ist das doch eine Chance!
Herbert Grönemeyer Dauernd Jetzt. Universal.
Live 19. Mai 2015, Hallenstadion Zürich