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Mia Rafaela Dieu (31) zieht als Bassistin der Metal-Band Zeal & Ardor um die halbe Welt. Wie hat sie das geschafft?
Als Mia Rafaela Dieu 13 Jahre alt war, lebte sie umgeben von Kurt Cobain, dessen Konterfei die Wände ihres Zimmers zierte. Heute ist sie 31 – und war ihrem Jugend-Helden so nah wie noch nie: Sie gastierte in seiner Heimatstadt Seattle. Und sie tat das als Musikerin, die wie einst Cobains Grunge-Band Nirvana durch Nordamerika tourte und dabei in renommierten Clubs auftrat. So zum Beispiel im «The Roxy» in Los Angeles, wo vor ihr schon Legenden wie eben Cobain, David Bowie oder Frank Zappa backstage auf ihren Auftritt gewartet hatten.
Keine Frage: Für die Basler Bassistin ist in diesem Jahr ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen, der Schweizer Musikerinnen und Musikern in der Regel verwehrt bleibt.
Wie das kam? Seit zweieinhalb Jahren ist Dieu Tour- und Bandmitglied von Zeal & Ardor, jenem Sextett, das der amerikanisch-schweizerische Doppelbürger Manuel Gagneux ins Leben gerufen hat. Seine furiose Mischung aus Black Metal und afroamerikanischen Worksongs sorgte 2016 für Aufsehen und für mehr als nur einen Hype. Rund 50 Leute sind mittlerweile in irgendeiner Form für Zeal & Ardor tätig.
«Als ich vor zwei Jahren einstieg, freute ich mich auf damals geplante sieben Konzerte», erzählt die Bassistin während einer Tourneepause im Kleinbasel. «Fest stand unter anderem ein Auftritt am Roadburn Festival in Holland. Das wollte ich als Fan von schwerer Rockmusik schon immer besuchen. Doch fehlte mir stets das Geld dafür.»
Seit sie mit 13 Rockmusik entdeckte und diese ihr Trost spendete in einer Kindheit, die von Einsamkeit geprägt war, wollte sie Musikerin werden. Sie mietete eine E-Gitarre, gründete eine Schülerformation namens Fog, träumte von einer Frauenband. «Doch ich fand keine Gleichgesinnten, die ebenso ambitioniert waren.»
Mit 16 lernte sie den Gitarristen Andy Röösli und den Schlagzeuger David Burger kennen. Was noch fehlte, war jemand am Bass. Sie stieg um, stieg ein. Und liebte es. «Ich fand diese tiefen, druckvollen Töne, diese Schwere viel geiler als die Gitarre.»
Das Trio nannte sich Slag in Cullet, hatte sich dem Rock verschrieben und feierte Achtungserfolge im In- und Ausland, inklusive des Gewinns des mit 15 000 Franken dotierten Basler Pop-Preises (den Dieu notabene mit Zeal & Ardor 2017 erneut gewann – und für den die Band jetzt wieder nominiert ist).
Nach knapp zehn Jahren kam es bei Slag in Cullet zum Bruch, die Band löste sich auf. «Es war dramatisch, ich fiel in ein tiefes Loch«, sagt sie. «Mir wurde mein Lebensinhalt entzogen.»
Dieu reiste an Jamsessions quer durch die Schweiz, nahm an diversen Auditions teil. «Aber ich spürte nie die Resonanz, die ich mir wünschte.» Sie war kurz davor, den Bettel hinzuwerfen. Und sprang stattdessen über ihren Schatten: «Als Punk war ich jahrelang davon überzeugt, dass man Musik nicht lernen, sondern fühlen muss.» Doch nun entschied sich die Autodidaktin für ein Studium an der Winterthurer Musikschule WIAM. «Ich setze mich mit Harmonielehre und anderen Stilen wie dem Jazz auseinander, büffelte, spielte, pendelte und jobbte daneben im Basler «Hirscheneck», als Hundesitterin und Plakatiererin.»
Anstrengende, aber lehrreiche Jahre. «Ich glaubte weiterhin fest daran, eines Tages von der Musik leben zu können», sagt sie. Was viele Menschen in ihrem Umfeld belächelten – oder falsch interpretierten: «Du willst Popstar werden?» Nein, das wollte Dieu sicher nicht. Sondern Rockmusikerin sein. «Die Musik war in meinem Leben stets ein Anker und Zufluchtsort, auch wenn alles um mich herum zusammenzubrechen drohte.»
Als Manuel Gagneux die Live-Band für Zeal & Ardor zusammenstellte, kam eine neue Herausforderung auf sie zu. «Black Metal hatte ich noch nie gespielt, ich musste lernen, wie man in hohem Tempo schreddert.» Und sie musste sich als Frau in einer Männerdomäne behaupten.
Als Dieu vor einem Jahr ihren dreissigsten Geburtstag feierte, spielten sie in Berlin. «Nach dem Konzert wollte mich ein Security-Mitarbeiter rauswerfen. Ich musste ihm klarmachen, dass ich Musikerin war, kein Groupie.» Kein Einzelfall. «Es fehlt noch immer das Bewusstsein, dass eine Frau nicht einfach nur Begleiterin sein kann», stellt sie fest. «Zum Glück habe ich eine dicke Haut.»
Diese braucht Dieu, auch im Tourbus, der sie in diesem Jahr an über 80 Konzerte in Europa, den USA und Kanada führte, von Barcelona über Montreux bis Wacken, dem grössten Heavy-Metal-Festival der Welt. Und das als einzige Frau in einem neunköpfigen Tourtross. «Mit der Dynamik der Männer muss man klarkommen», sagt sie und will das gar nicht negativ werten. Auch die Strapazen – eine Koje ohne Rückzugsmöglichkeit, Katzenduschen auf Raststätten, muss sie in Kauf nehmen. «Nach der Amerikatour freute ich mich, mal wieder in einem eigenen Zimmer zu schlafen. Und über Gespräche mit anderen Frauen.» Denn Frauen sind an den Konzerten von Zeal & Ardor klar in der Minderheit – zumindest an den Clubshows, die auf ein Metal-Publikum ausgerichtet sind.
An den Festivals hingegen hat die Band in diesem Jahr vor heterogenem Publikum gespielt. Am französischen Musilac Festival etwa kamen Zeal & Ardor nach Depeche Mode und Simple Minds auf die Bühne. «Da war ich nervös wie schon lange nicht mehr: Weil die Bühne so riesig war und die Bands vor uns absolute Profis, hart am Start, vor allem aber stilistisch so anders als wir. Da fragte man sich backstage schon: Wie reagiert das Publikum wohl auf unser Geschrummel?» Sie lacht.
Es kam gut. Wie vieles in den vergangenen Monaten. Seit diesem Jahr kann Dieu von den Auftritten leben, «wenn auch auf kleinem Fuss, in einer WG, aber ohne Nebenjobs.»
Das sei ein Lebensziel, das sie erreicht habe, ein anderes: durch die USA zu touren. Zurück in der Schweiz, kann Mia Rafaela Dieu einige Tage durchatmen. Und auftanken, ehe wieder der Buschauffeur übernimmt. Der zweite Teil der Europatour lockt, von Rom bis Prag, von Glasgow bis Madrid. Immerhin schläft sie nun in einem gefederten Bus. «In den USA reisten wir in einem Container mit Betten. Wenn man nach zehn Stunden Fahrt in einer neuen Stadt ausstieg, hatte man Seegang», sagt sie. «Da verlor man auch mal das Zeitgefühl und die Orientierung. Man ist wie in einer anderen Welt.» Eine Welt, die ihr gefällt.
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