Lucerne Festival überrascht mit dem Format «40 Minuten» - und die Dirigentenstars Daniel Barenboim wie Daniel Harding werden im KKL bejubelt. Ein Rückblick auf den hochspannenden Beginn der ersten Festivalwoche.
«Wie das wohl am nächsten Freitag wird?», fragt die Pressechefin bange, fast schon bleich vor Angst. «Ein Fest!», kann man ihr getrost antworten. Denn kaum lanciert, ist die Reihe «40 Minuten» schon mehr als begehrt. Bei der Premiere am Montagabend stauten sich 800 Menschen im KKL-Foyer und drängten um 18.15 Uhr hinein in den Luzerner Saal. 780 werden es jeweils höchstens sein: Babys, Kinder, Zufallsgäste, Laien und Konzertprofis, alle bunt gemischt. «Gratis», das ist auch bei einem Edelfestival, wo die Sinfoniekonzertkarten bis 350 Franken kosten, das beste Mittel, um den Saal zu füllen.
Mit «40 Minuten» soll einem bunten Publikum jeweils um 18.20 Uhr ein Einblick ins Festival geboten werden: Mal stellt sich der Composer in Residence vor, mal spielen die Blechbläser des Festspielorchesters oder es gibt wie am Montag eine «simple» Probe. Da das Flugzeug von Dirigent Daniel Harding Verspätung hatte, war Artiste in Residence Barbara Hannigan eingesprungen und probte mit György Ligetis «Concert Romanesc». Ihre Anweisungen wurden über Mikrofon verstärkt, sodass durchaus ein Eindruck der Arbeit entstehen konnte. Wäre das eine oder andere Beispiel etwas pädagogischer vermittelt worden, hätten auch Laien einen noch besseren Eindruck der Arbeit erhalten. Wie auch immer: Nach 30 Minuten übernahm der angekündete Harding den Dirigierstab und machte aus der kleinen «Show» eine richtige Probe. Das war nötig, denn schon am Dienstag leitete er sein ehemaliges Hauptorchester, das in Luzern viel beschäftigte Mahler Chamber, in einer Uraufführung von Wolfang Rihm (1952) und in zwei Werken Dvoraks.
Singen und ringen
Rihms Hornkonzert zieht einen sofort in den Bann, noch in der Pause beim Flanieren am See erwischt man sich dabei, irgendein halbes Motiv zu summen. Schon mal passiert bei einer durchaus fordernden Uraufführung? Soll man Rihm deswegen kritisieren? Dumm wäre das, denn der Komponist lässt das Horn bzw. den Hornisten Stefan Dohr wahrlich singen, aber durchaus auch mit allen möglichen Ausdrucksmitteln ringen: Immer ist der Drang nach vorne, immer ist das Suchen nach Ausdruck und Klang – erst in einer langen letzten Kadenz kehrt Hornesruhe ein.
Antonin Dvoraks 9. Sinfonie gab Daniel Harding etwas weniger Luft zum Atmen: Von einem stürmischen Zug nach vorne ist sein Dirigat geprägt, das tänzerisch melancholische ist dieser «Neuen Welt» fast ausgetrieben. Das Mahler Chamber Orchestra machte in diesem wilden Tanz, der auch seine Tribute forderte, bedingungslos mit. Der Jubel war gross. Schon am Abend zuvor war das zweite Konzert mit dem West-Eastern Divan Orchestra mit Standing Ovations bedacht worden. Wie auch nicht, wenn Alleskönner Daniel Barenboim dirigiert? Der Weg zum Triumph war allerdings erstaunlich.
Mozarts letztes Klavierkonzert, das abschiedsdunkle 27., geriet dank Barenboims Klangsinn zu einer überaus stimmungsvollen Interpretation: Der Dialog, den Barenboim mit seinen Musikern aus Israel, arabischen Ländern und Spanien führte, war beneidenswert innig: Hier ein Ritardando, da eine Verzierung – und immer lächelte da die Entgegnung aus dem Orchester. Wie Barenboim im 3. Satz nach der Kadenz das Thema wieder aufnahm, oder soll man sagen, vom Himmel auf die Erde zurückholte?, war fast zu schön. Doch auch diesen Zauberklang nahm das Orchester auf. Romantische Spielereien? Quatsch! Wundersam gelöstes, modernes Spiel!
Ein orchestrales Feuerwerk zündete man im zweiten Teil: erst durchaus klangsinnlich mit Werken von Maurice Ravel, dann mit Ausschnitten aus Georges Bizets «Carmen»-Suite überschäumend. Famos, wie Barenboim es schaffte, die ganze Orchesterpalette des West-Eastern Divan zum Leuchten zu bringen. Und ziemlich cool, wie zurückhaltend er sich beim «Bolero» zeigte, seine jungen Musiker ganz nach der Pfeife des Trommlers tanzen liess. Dem «NZZ»-Kollegen, der einen Schreibkampf führt gegen Dirigenten, die mal etwas zu tief in die Hocke gehen (Jordan), die ihrem musikalischen Willen mit etwas gar grossen Gesten Ausdruck verleihen (Nelsons), hätte diese Anti-Bewegungs-Show gefallen. «Was ist denn die Gestik eines Dirigenten? Sie ist bloss die Verlängerung seines musikalischen Willens», sagte der legendäre EMI-Chef Walter Legge einst.
Bald 1000 «40 Minuten»-Hörer?
Es wäre besser, wir würden es nicht schreiben, aber am anfangs erwähnten Freitag ist kein Geringerer als Simon Rattle Gast bei «40 Minuten», Chefdirigent der Berliner Philharmoniker.
Kleiner Hinweis: Nur mit einer Nummer gibt es Einlass. Sie werden im Foyer vor dem Konzert abgegeben. Ein allzu nettes System, das man nach dem nächsten Grossansturm bestimmt überdenken muss. Sonst wird die Pressechefin tatsächlich bleich, wenn es das nächste Mal «40 Minuten» heisst.