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Der Sänger der Toten Hosen über Fremdenhass in Europa, Götter in Trikots und Striptease-Shows in einem Zürcher Sex-Kino.
Heute noch nicht. Was für eine Art Wut meinen Sie? Alltagswut?
Noch bin ich ruhig.
Natürlich werde ich wütend, über jene, die eine Hatz beginnen und die Atmosphäre vergiften. Da kann es einem schon die Sicherungen raushauen. Aber es bringt nichts. Bei offenen Bedrohungen gegen Flüchtlinge muss die Staatsmacht mit aller Härte vorgehen. Wir als Gesellschaft müssen bei dieser Thematik rationaler sein.
Es ist ein Problem, dass über Flüchtlinge oft nur emotional debattiert wird, ohne die Fakten zu berücksichtigen. Da tragen auch die Medien dazu bei. Die Menschen sind nicht vernünftig aufgeklärt. Alle reden bei uns in Deutschland immer davon, dass wir die Dummen sind, die alle aufnehmen müssen. Aber man muss das mal in Relation zu unserem Wohlstand und unserer Grösse setzen, dann sieht das alles schon ganz anders aus.
Andreas Frege alias Campino kam 1962 in Düsseldorf zur Welt. Seine Mutter war gebürtige Engländerin. So kam Campino schon früh über seinen zwei Jahre älteren Bruder John Frege mit Punk-Rock in Kontakt. 1982 gründete er die Toten Hosen mit. Die Band ist bis heute eine der kommerziell erfolgreichsten Bands Deutschlands. Andreas Frege ist Vater eines Sohns und war kurze Zeit mit der Ex-Miss-Schweiz Melanie Winiger liiert.
Ja. Sie ist eine grosse Bedrohung. Dieser Hass kann zur Mainstream-Gesinnung werden. Sprüche, die bisher tabu waren, werden plötzlich gesellschaftsfähig, ohne dass jemand aufschreit. Da muss die Gesellschaft dagegenhalten. Man muss es sich im Supermarkt nicht mit ansehen, wenn einer runtergemacht wird, nur weil er nicht von hier ist. Da kann man etwas dagegen tun.
Nein. Wir müssen uns nicht auf die Schultern klopfen, aber Deutschland hat sich wirklich verändert. Dieser in manchen Situationen aufflammende Hass ist ja kein allein deutsches Phänomen, den gibt es auch in Österreich, in der Schweiz und in Italien und Spanien. Er ist ein europäisches Problem. Aber es ist korrekt, dass Sie mich auf Deutschland ansprechen. Bevor ich die Schweiz dafür kritisiere, dass sie entschieden hat, dass es keine Minarette mehr geben soll, muss ich vor meiner eigenen Türe wischen.
Deutsche Promis stehen auf gegen Rassismus. Am lautesten der Sänger der Rockband «Die Ärzte», Farin Urlaub: «Solange es Leute gibt, die nichts können, nichts wissen und nichts geleistet haben, wird es auch Rassismus geben. Denn auch diese Leute wollen sich gut fühlen. Also suchen sie sich jemanden aus, der anders ist als sie, und halten sich für besser.» Damit hat Urlaub einen «Aufstand der Aufrechten» angezettelt. Schauspieler Sky du Mont sagte dem «Handelsblatt»: «Wenn wir eins nicht brauchen, so sind das ewig Gestrige, die sich mit ihren dumpfen Parolen gegen Flüchtlinge wenden. Ich hätte lieber eine syrische Flüchtlingsfamilie als Nachbarn als einen Nazi». Und Schauspieler Til Schweiger startete auf Facebook einen Spendenaufruf für Flüchtlinge und erntete rassistische Kommentare. Er reagiert geharnischt: «Oh Mann – ich habs befuerchtet!! Ihr seid zum Kotzen! Wirklich! Verpisst Euch von meiner Seite, empathieloses Pack!» Später postete er die Frage, ob man für jeden aufgenommenen Flüchtling einen Nazi abgeben könne. Udo Lindenberg will zu seinen Konzerten jeweils 200 Flüchtlinge einladen und liess sich in derselben Zeitung wie folgt zitieren: «Nazifreie Bunte Republik Deutschland. Müssen wir hinkriegen.» Auch Anja Reschke, Tagesschausprecherin von ARD, findet es schockierend, dass Internet-Rassisten kaum gestoppt werden: «Auf Sätze wie ‹Dreckspack soll im Meer ersaufen› bekommen sie ja auch noch begeisterten Zuspruch». Was ist dagegen zu tun? «Dagegenhalten, Mund aufmachen. Haltung zeigen.»
In der Schweiz dagegen ist Polo Hofer fast allein mit seiner Wut und sagt der «Zeit»: «Ob der Dummheit der Leute könnte man schon manchmal verzweifeln. Die meinen, diese Flüchtlinge hätten es speziell auf die Schweiz abgesehen.» Statt sich für das Zeitgeschehen zu interessieren, gäben sie sich lieber dem Konsum hin. Nur Rapper Knackeboul warnt im SRF, Worte wie «Flüchtlingswelle» schafften den Eindruck, es stün-den massenhaft Menschen an der Grenze, die uns das Essen wegnehmen wollten. Susanne Weiss
Wir sollten uns alle bewusst sein, dass wir in einer völlig abnormalen Zeit leben. Noch nie gab es in Mitteleuropa so lange Frieden. Wenn Sie mich also unter diesem Aspekt fragen, ob ich froh bin, aus Deutschland zu sein, dann sag ich gerne Ja. Ich bin verdammt noch mal friedlich aufgewachsen.
Das ist doch Unsinn. Der mit den besseren Noten wird immer ein wenig angemacht, das ist auch in der Schule so. Das sollte man nicht persönlich sehen. Deutschland wird doch auch in vielen Bereichen als Zugmaschine respektiert. Ich bin noch nicht mal sicher, ob das verdient ist.
Die Gesellschaft. Es ist ja heute wichtiger, wer am Samstag in der Bundesliga gewinnt, als was sich in der Politik abspielt. Fussball ist das Letzte, an das alle glauben.
Ja, ich glaube an den Fussball, jedenfalls eher als an unsere Politiker (lacht). Manche Leute sagen, es sei armselig, dass man sich mit seinem Verein so sehr identifizieren und in etwas hineinsteigern kann. Dass man bei einem Sieg Glücksgefühle empfindet, obwohl man gar nicht auf dem Platz steht. Ich finde das sensationell. Aber das muss jeder für sich entscheiden.
Die Rebellion der Strasse kann immer noch passieren. Gerade durch das Internet. Ich will das aber nicht romantisieren. Das kann für eine gute Sache sein, aber auch genau so für eine hässliche. Stichwort «Ausländerfeindlichkeit». Aber ob es eine solch breite Bewegung, wie die Punk-Bewegung es war, wieder geben kann, bezweifle ich.
Jugendbewegungen wie die Hippies oder die Rock ’n’ Roller, das waren Anti-Establishment-Bewegungen, die viel Zeit zum Wachsen hatten. Es konnte sich eine Philosophie entwickeln. Heute geht das nicht mehr, weil das Tempo so hoch ist. Aber dafür gibt es eine grössere Vielfalt von Bewegungen, die nebeneinander her existieren.
Es ist nicht einfach, von einer Hausbesetzer-Band, wie wir es waren, zu einer Gruppe zu werden, die alle möglichen Leute jeder Gesellschaftsschicht sehen wollen. Damit mussten wir erst mal umgehen. Das war ein schwieriger Prozess. Wir haben uns lange darin verkrampft, die Jungs von früher sein zu wollen. Aber das geht einfach nicht. Du kannst nichts dagegen tun, wenn dich andere nicht mehr als das sehen, was du im Kern immer noch bist.
Diese Frage stellt sich für uns nicht. Unsere Geschichte spricht für sich selbst. Wir haben nicht alles über Bord geschmissen. Zum Beispiel sollten wir schon für Rasierwasser, Limonaden, Bier und politische Parteien singen. Aber wir haben unsere Musik nie für Werbung zur Verfügung gestellt, obwohl da Summen in Millionenhöhe im Raum waren. Wir hielten auch immer die Eintrittspreise moderat. Das hängt alles damit zusammen, woher wir kommen. Aber irgendwann kann man trotzdem nicht mehr als Anti-Establishment-Vorreiter dienen. Man braucht eine Portion Naivität, um Zwanzigjährigen zu sagen: Ihr könnt mich alle mal. Das würde man heute auch den Rolling Stones und AC/DC nicht mehr abnehmen. Und uns ebenfalls nicht. Aber wir haben nie mit der Vergangenheit gebrochen.
Das Einzige was mich in dem Moment – und da sind wir beim Stichwort – verärgert hat, ist, dass durch diese arme Wurst viele Spenden nicht eingegangen sind, weil er dafür gesorgt hat, dass in einem unglücklichen Moment die Leute über diese Aktion irritiert waren. Er kann sich also dafür auf die Schultern klopfen, dass er ein paar 100 000 Euro Spenden mit verhindert hat. Wofür? Für ein paar Lacher.
Das war noch mit der Vorgängerband von den Hosen, die hiess «ZK». Da haben wir Anfang der Achtzigerjahre im Kino Walche gespielt, zusammen mit Liliput, Ex-«Kleenex», dieser berühmten Zürcher Mädchen-Punkband.
Wie Peterchens Mondfahrt. Wir waren nur eine mittelmässige Band, aber wir durften von Düsseldorf in eine andere Stadt fahren und spielen. Das war krass. Es war die Zeit von «Züri brännt» und der Roten Fabrik. Heutzutage kannst du dich durch das Internet darüber informieren, wie die Rock-Bewegung in Mombasa gerade tickt. Aber damals war es etwas Fantastisches, herauszufinden, dass die Punks in einer anderen Stadt genau so drauf waren wie wir. Ausserdem war das Kino Walche klasse.
Weil es da zwischendurch Striptease-Shows gab. Das war Punk-Romantik. Ganz grosse Klasse. Schmuddelig, rotzig und gesellschaftlich nicht korrekt. Mit anderen Worten: genau richtig für uns. Aber ich verbinde mit Zürich auch weniger schöne Bilder ...
Ich erinnere mich an die damalige offene Drogenszene in Zürich. So etwas hatte ich vorher in diesem Ausmass nicht gesehen, selbst in Berlin und Frankfurt nicht. Das hat reingeknallt. Wir waren geschockt. Da war kurz Ruhe im Tour-Bus, was nicht oft geschah.
Wir hatten im engeren Band-Umfeld Probleme mit Drogen. Deshalb ist uns auch der Mund runtergeklappt, als wir diese Szene sahen. Unser Roadie «Bollock» verschwand jeweils einige Stunden, wenn wir in Zürich einfuhren, und wenn er wieder kam, war er nicht mehr derselbe. Er starb später an den Folgen seines Drogenkonsums.
Ja. Wir freuen uns und sind bereit.
Die Toten Hosen spielen am Samstag, 15. August, im Zürcher Letzigrund Stadion. Das Konzert ist ausverkauft.