Klassik
Bitte recht unartig!

Das Capriccio Barockorchester eröffnet seine Saison. Nach allen und alten Regeln der Kunst.

Anna Kardos
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Seit 19 Jahren dem Barock verpflichtet: Das Aargauer Capriccio Barockorchester. Oliver sloss

Seit 19 Jahren dem Barock verpflichtet: Das Aargauer Capriccio Barockorchester. Oliver sloss

Oliver Sloss

Was ist der Unterschied zwischen Christoph Columbus und dem Capriccio Barockorchester? Sie gehören beide zu den allerersten ihres Fachs: Columbus mit der Entdeckung Amerikas und das Capriccio mit der Gründung eines Schweizer Barockorchesters. Doch während Columbus sich seit nunmehr 526 Jahren auf seinen Entdecker-Lorbeeren ausruhen kann, hat das Capriccio Barockorchester in den 19 Jahren seines Bestehens jüngere Mitstreiter bekommen.

Denn Barock boomt. Und historisch informierte Ensembles schiessen schweizweit wie Pilze aus dem Boden. Mal feingeistige, wie das Berner Ensemble «Les Passions de l’Ame»; überbordend virtuose wie Andrés Gabettas Hochglanz-Formation «Cappella Gabetta» oder sinnlich klangzaubernde, wie das «Zürcher Barockorchester».

Gegen all diese Profile klingt der Columbus unter den Barockensembles an seinem Auftakts-Konzert in die neue Saison überaus gemittet und gesittet. Obs am Motto liegt? «Rhein majestätisch» ist der Abend überschrieben, der, wie die Folgekonzerte, ein Gewässer des Aargaus musikalisch und mit einer kurzen Einführung durch den Denkmalschutz zum Thema macht (die bestechende Idee wird mit Programmen zu Aare, Reuss und Limmat fortgesetzt). Aber zurück zu «Rhein majestätisch», denn ein Hauch der hofein, hofaus omnipräsenten spanischen Etikette scheint auch an diesem Abend zu regieren.

Wohl deshalb tönt Händels Water Music getragen statt sprudelnd. Massvoll sowie festlich breiten sich unter der Leitung von Konzertmeister Dominik Kieder die Phrasen innerhalb der Wände des wunderschönen Zurzacher Verena-Münsters aus. Nur in den Pianopassagen dürfen auch mal melancholisch umwölkte Tonfarben aufscheinen. In Antonio Vivaldis Konzert für Violine, 2 Oboen, 2 Hörner, Fagott, Streicher und Basso continuo (RV 568) lässt sich das Ensemble bei aller Besonnenheit immerhin lustvoll in die kühnen, harmonischen Wendungen fallen. Bloss, warum übt sich die solistische Violine in noblem Understatement? Schliesslich war Vivaldi, der über 600 Violinkonzerte komponierte, mit allen Wassern gewaschen, wenn es darum ging, einen Geigenpart zum Strahlen zu bringen.

Etwas mehr ...

Am überraschendsten gestaltet sich Mozarts Jugendwerk «Cassation in G-Dur» KV 63. Hier lassen die Musiker, nach schnellen Aufstiegen, die Musik abrupt in die Tiefe stürzen. Als später allerdings das Menuett mit seiner gesamten Attitüde demonstriert, wie göttlich man sich am damaligen Hof langweilen konnte, fragt man sich als Zuhörerin insgeheim, wie viel davon gestalterische Absicht ist und wie viel orchestrales Temperament.

Hier ist zwar alles nach den Regeln historischer Aufführungspraxis musiziert – und mit Hingabe obendrein. Trotzdem. Angesichts so zahlreicher, mannigfaltig aufspielender Barockensembles wünschte man sich vom Altmeister Capriccio hin und wieder etwas mehr – ja was eigentlich? Womöglich mehr Dreck – man könnte es auch eine Betonung auf den Anteil «Rock» in «Barock» nennen. Vielleicht aber auch etwas mehr Swing – die Theorbe machte schon mal ganz entspannt vor, wie das gehen könnte. Was es denn auch sei, man könnte es zusammenfassen als mehr «Capriccio», was nichts anderes bedeutet als die absichtliche, lustvolle Grenzüberschreitung.

Damit wären gleich zwei Schritte in einem genommen: jener zurück zu den namensgebenden Wurzeln dieses Ensembles und gleichzeitig jener in eine Zukunft, die den Vergleich mit anderen Originalklang-Ensembles nicht zu scheuen braucht.

Und tatsächlich: Schon die Zugabe bot eine Hörprobe davon, dass, wo Capriccio draufsteht, auch Capriccio drin ist. Ausgerechnet mit der zuvor gehörten «Water music» von Händel. Nur dass diese in der Version nach dem Schlussapplaus ungleich befreiter klang: Beschwingt in den Geigen, swingend in der gesamten Continuo-Gruppe, und auch in Hörnern gings eindeutig mit mehr Dreck zu und her.

Liebes Capriccio Barockorchester, sollte es tatsächlich am klatschenden Publikum liegen, dass ihr so aufspielt, wie ihr heisst – an uns soll es beim nächsten Konzert bestimmt nicht liegen!