Zum 25. Geburtstag haben sich die Ittinger Pfingstkonzerte selbst ein Geschenk gemacht. Und bei Helena Winkelman ein Cellokonzert in Auftrag gegeben. Mit dem neuen Werk «Atlas» taucht die Basler Komponistin in die griechische Mythologie ein.
Als «weltoffene Alchimistin» wurde Helena Winkelman anlässlich der Verleihung des Schweizer Musikpreises 2017 bezeichnet. Jazz und Rock haben in ihren klassischen Kompositionen bisweilen genauso Platz wie Musik aus dem indischen Kulturraum oder auch hiesige Volksmusik.
Sie gehe beim Schreiben nicht «ideologisch» vor, sagt die Komponistin, die 1974 in eine Schaffhauser Musikerfamilie hineingeboren wurde und als preisgekrönte Geigerin ihre Musikerinnenkarriere begonnen hat. Musik nach starren intellektuellen Vorgaben oder als reines Klangexperiment ist nicht Helena Winkelmans Sache. «Ich suche mit meiner Musik auch nach Antworten auf die existenziellen Fragen. Halbwahrheiten oder reine Effekte, die nur das Intellektuelle erreichen, liegen mir fern.»
Wenn sie komponiert, hat sie immer auch die jeweiligen Interpreten in ihrer Vorstellung, ihre persönliche Energie und ihre individuelle Ausstrahlung. «Ich möchte mit meinen Stücken dem Interpreten die Möglichkeit geben zu zeigen, was nur er alleine zeigen kann.» Das neue Cellokonzert, mit dem die diesjährigen Ittinger Pfingstkonzerte starten, ist dem künstlerischen Leiter, Nicolas Altstaedt, gewidmet. «Muskulös» sei der erste Satz, sagt die Komponistin und benutzt ein eher ungewohntes Adjektiv und meint: Hier darf der Interpret seine gestische Kraft zeigen.
«Atlas» ist das Stück betitelt und bezieht sich dabei auf einen altgriechischen Mythos. Atlas wurde von Zeus damit bestraft, dass er das Himmelsgewölbe über der Erde tragen muss. Er steht damit in einem Spannungsfeld zwischen Himmel und Erde, das die Komponistin reizt: Rationalität und Mythos hätten die Griechen in ihrem Denken zusammengebracht. Und die Musik selbst stehe in der Polarität zwischen Religion und Wissenschaft.
Mit 19 Jahren hat Helena Winkelman ihr erstes Stück komponiert, improvisiert hat sie schon als kleines Kind. Bela Bartóks zweites Streichquartett war für die hochtalentierte Geigerin eine Initialzündung für das eigene, inzwischen international erfolgreiche Komponieren. Wichtige Lehrer waren die Komponisten Roland Moser und Georg Friedrich Haas, aber auch die Improvisationskunst des Schlagzeugers Pierre Favre haben die Musikerin geprägt.
Die Liste ihrer Werke auf der Homepage ist lang, aber nicht vollständig. «Ich habe fast den Überblick verloren», sagt sie, die in den letzten zwanzig Jahren rund 60 Werke geschrieben hat, vor allem Auftragswerke. Erste Skizzen schreibt sie in kleine Notizhefte. Schaut man sich die ersten Ideen zum neuen Cellokonzert an, ähneln diese Aufzeichnungen Fieberkurven, geheimnisvollen Timelines, rätselhaften Spannungs- und Erregungskurven.
Ideen lässt Helena Winkelman erst einmal offen und unkritisch zu, versucht vor der eigentlichen Feinarbeit und Notation nicht zu viel festzulegen. Gerne schreibt sie Musik beim Spazierengehen, oft Bäume als Schreibunterlage benutzend. Anderthalb Stunden Musik entstehen bei der in Basel lebenden Tonsetzerin im Schnitt jährlich. Das tönt nach wenig, ist aber sehr viel. Wenn das Cello nun im Werk «Atlas» mit vielen Obertönen das Himmelsgewölbe trägt, liegt dem ein langer und anspruchsvoller Kompositionsprozess zugrund. Für Violoncello zu schreiben, sei wunderbar, sagt Helena Winkelman, aber gerade die Tiefe des Instruments verlange einen sehr genauen Umgang mit den Harmonien.
Die Liebe zu Haydn verbindet die Komponistin Helena Winkelman und den Cellisten und diesjährigen Leiter der Ittinger Pfingstkonzerte, Nicolas Altstaedt. Ein Haydn-Quartett und das C-DurCellokonzert treffen auf die Winkelman-Uraufführung und ein Quartett der Komponistin, das sich mit Haydns Papagei beschäftigt. Spannend dürfte auch Altstaedts Sicht auf alle Bach-Cellosuiten sein. Die sieben Konzerte zwischen 7. und 10. Juni halten Entdeckungen bereit, etwa das wenig bekannte spätromantische Klavierquintett von Bartók. Tiefsinnige Ausflüge in jenseitige Welten verspricht «The Protecting Veil» des englischen Komponisten John Tavener. Eine spezielle Bearbeitung von Schostakowitschs 15. Sinfonie ist am Pfingstsonntag zu hören: Sie erklingt als Klaviertrio plus Schlagzeug. (map)
Uraufführung des Werks von Helena Winkelman: Fr, 7. 6., 19 Uhr, Kartause Ittingen, Warth www.kartause.ch/pfingstkonzerte