Die englische Saxofonistin mit karibischen Wurzeln ist das neue Aushängeschild der brodelnden Londoner Jazzszene.
Es beginnt mit einem Reggea-Rhythmus – offbeat. Das ist typisch für die neue Jazz-Community von London, die oft afro-karibische Rhythmen in ihre Musik streut. Die stolze Tenor-Saxofonistin Nubya Garcia ist wichtiger Teil dieser Szene, ein Aushängeschild und ihr neuer Star: Jazz- und Popstar.
Schon vor drei Jahren, am Jazzfestival in Cully, hat Garcia ihre Visitenkarte hinterlassen und sich als aufstrebende Musikerin einer neuen Jazzhaltung präsentiert. Doch dann kam Corona und hat ihren Aufstieg unterbrochen. Sie hatte bisher noch gar keine Gelegenheit, ihr gefeiertes Album «Source» von 2020 und ihr vorzügliches Quartett mit dem grandiosen Pianisten Joe Armon-Jones - eine andere Leuchtfigur der Londoner Szene - vorzustellen.
Nubya Garcias Eltern sind in der Karibik geboren, der Vater stammt aus Trinidad, die Mutter aus Guyana. Die Migrationserfahrung ist also noch relativ jung. Die Eltern legten grossen Wert auf eine gute, umfassende Bildung ihrer Tochter. Dazu gehörte auch eine musikalische Bildung und schon bald spielte sie im Jugendorchester zuerst Bratsche und Violine, dann Klarinette. Aber erst beim Saxofon fing sie so richtig Feuer.
Mit John Coltrane, dem grossen Erneuerer auf dem Tenorsaxofon, verbindet sie vor allem das Spirituelle, ihr Favorit als Saxofonist ist aber Sonny Rollins. Die inzwischen 91-jährige, lebende Legende hat selbst auch karibische Wurzeln und hat als Erster Jazz mit Calypso-Rhythmen gemischt. Wie Rollins spielt Gaarcia eher im tiefen Register des Instruments und liebt das Repetitive.
Darüber hinaus hat Nubya Garcia aber ein ganz eigenen Saxofonstil entwickelt. Sie beginnt oft mit lang ausgehaltenen, getragenen Tönen und macht Pausen. Sie holt tief Luft und steigert dadurch die Spannung. Virtuose Kabinettstücke und akrobatische Fingerfertigkeit sind nicht ihr Ding. Verglichen mit einem Chris Potter macht sie Zeitlupen-Jazz. Zu den getragenen Klängen, mischt sie rhythmische Stakkato-Kürzel und kurze schnelle Passagen, Sie sind aber nie Selbstzweck, sondern dienen der Steigerung an Intensität. Sie treibt die Töne langsam in die Höhe. Dringlicher, hypnotischer, ekstatischer.
Nubya Garcia spricht ein gediegenes, edles Englisch. Doch ihre Wurzeln sind für ihre Musik entscheidend. Nicht nur die karibische Herkunft, die Londoner Szene versteht sich als die afrikanische Diaspora. Diese Nähe zu Mutter Afrika ist viel ausgeprägter als bei den meisten afro-amerikanischen Musikerinnen und Musikern der USA. Westafrikanische Rhythmen und vor allem der Afro-Beat von Fela Kuti sind weitere wichtige Bezugspunkte. Garcias Musik ist deshalb nicht verkopft, intellektuell und akademisch.
Das gilt für die ganze Londoner Szene. Die Musik soll grooven, in die Beine gehen. Als Nubya Garcia das Publikum schüchtern daran erinnert, dass Jazz auch Tanzmusik sei und man sich dazu bewegen könne, ja eigentlich müsse, geht ein Ruck durch den Saal. Nubya Garcias Jazz ist körperlich, heiss und schweisstreibend. Die Jazzparty beginnt und der Aufstieg der Nubya Garcia kann weitergehen.