Die russisch-jüdische Geigerin Hana Gubenko spielt Zeitgenössisches mit Engagement. In Kreuzlingen hebt sie am Montag ein argentinisches Bratschenkonzert aus der Taufe.
Richtig zu funkeln beginnen ihre Augen, wenn sie über zeitgenössische Musik spricht. Sie ist für Hana Gubenko nicht Pflicht, sondern echte Herzensangelegenheit. Vor dem Ersten Weltkrieg seien in Konzerten siebzig Prozent der zeitgenössischen Musik vorbehalten gewesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe vor allem ein Zweig der Moderne, die Avantgarde, andere wertvolle Musik der Gegenwart in den Hintergrund treten lassen. «Wir leben jetzt und müssen Musik spielen, die jetzt geschrieben wird», sagt die junge Musikerin, die im thurgauischen Berg lebt.
Die 27-jährige Hana Gubenko ist mit zwölf Jahren aus Moskau nach Konstanz emigriert. Ihr Vater war dort künstlerischer Leiter des Jüdischen Theaters in Moskau. Jiddisch hat sie nicht gelernt. Der Vater hatte Angst, sie könnte es auf der Strasse unversehens sprechen. Als Jugendliche ging sie zum Studium nach Wien und wollte wieder zurück nach Moskau, um ihre Ausbildung abzurunden. Das ging nicht mehr. «Eine komplizierte Geschichte», sagt Hana Gubenko, die mit 18 Jahren mittellos und ohne Pass in Kreuzlingen strandete.
Der damalige Musikschulleiter Hartmut Wendland liess die junge Musikerin, die in Zürich und Madrid weiterstudiert hat, dort in den Räumen der Musikschule üben und empfahl ihr, ein Konzert zu geben. Der Kreuzlinger Pianist Timon Altwegg begleitete sie. Die beiden wurden ein Paar und haben heute zwei Kinder. Mit ihrem Mann verbindet sie die Liebe zur modernen Musik, zu ausgefalleneren Werken abseits des Mainstream. «Der Klassikbetrieb hat sich mit seinen Ritualen heute wie in ein Mausoleum eingeschlossen. Manchmal scheint mir, als wäre die lebendige Brücke zu den Zuhörern kaputt gegangen», sagt Hana Gubenko.
«Das darf nicht sein, ist Musik doch die letzte Form von Magie und wie die Natur für alle da.»
Zum Fototermin erscheint sie mit beiden Instrumenten, der Geige und der Bratsche. Die Bratsche hat sie erst seit einer Woche. Sie fühlt sich auf beiden Instrumenten wohl. «Es ist, als sei man in zwei Menschen gleichermassen verliebt.» Ihre jüdischen Wurzeln sind Hana Gubenko wichtig. Eine neue Geigen-CD, die Anfang 2019 erscheinen soll, präsentiert bewusst Schweizer Komponisten mit jüdischen Wurzeln. Etwa Max Ettinger, Frank Ezra Levy und dessen Vater Ernst Levy. Für Hana Gubenko einer der sträflich vernachlässigten Genies des 20. Jahrhunderts in der Schweiz. Für die im Gespräch nur so sprühende Künstlerin haben einige Komponisten Werke geschrieben. So ist das Bratschenkonzert des letztes Jahr verstorbenen Frank Ezra Levy ihr gewidmet. Sie hat es auf ihrer letzten CD eingespielt. Wertvolle zeitgenössische Musik populär machen, das treibt sie an, und das goutiert auch ihr Publikum. Hana Gubenko sagt:
«Wir müssen aufhören, Epochen abzugrenzen, alles geht ineinander über.»
Das Bratschenkonzert des Argentiniers Rodrigo Ratier, basierend auf Tango-Elementen, ist ebenfalls ihr gewidmet. Der Komponist ist am Montag an der Uraufführung mit dabei. Liebevoll, fast zärtlich legt Hana Gubenko ihre Geige und ihre Bratsche wieder in den gemeinsamen Koffer. Die Instrumente hat sie nach langer Suche in Lissabon gefunden. Über den oft steinigen Weg zu einem passenden, singenden Instrument könnte sie eine eigene Geschichte erzählen.
Im Konzertbetrieb fristen sie immer noch ein Schattendasein:
Uraufführungen zeitgenössischer Musik. Das erste GML-Konzert der neuen Saison (Gesellschaft für Musik und Literatur) präsentiert drei Uraufführungen: Es erklingt Musik von Gilles Colliard, Frank Ezra Levy und Rodrigo Ratier. Zu Gast ist das Orchestre de Chambre de Toulouse.
Konzert von Hana Gubenko am Montag, 20.8., 20.15 Uhr, Aula PMS; Kreuzlingen; gml-kreuzlingen.ch