Lesetipps Literatur: Bücher zum Heizen

In «Manarage» grilliert ein Meisterkoch nur auf Büchern. Ein Zukunftsroman mit Anleihen von Gogol bis Tolstoi.

Erika Achermann
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Bücher spenden Wärme

Vladimir Sorokin schickt in seinem neuesten Roman «Manaraga» den Meisterkoch Géza auf Reisen durch Europa. Seine Kunden sind die reiche Upperclass-Gesellschaft, denn Gézas Kunst des Book-‚n’-Grill ist elitär: er grilliert Schnitzel auf Schnitzler, Stör über Dostojewskis «Der Idiot», Hummer auf Tolstoi und für die Deutschen Würstchen auf dem «Untertan». Dies natürlich nur auf Erstausgaben, zusammengesucht in Antiquariaten und Museen! Der Roman spielt im Jahr 2037. Bücher werden keine mehr gedruckt, die Druckereien drucken nur noch Geld. Aber Sorokin, das ist spürbar, liebt die Literatur, besonders die russische, die in seinem Roman auf ganz andere Art Wärme spendet als beim Lesen! Sorokin spielt auf der Stilpartitur von Gogol bis Tolstoi von Babel bis Bulgakov. Inspirieren liess er sich durch die Bücherverbrennung der Nazis einerseits und das Heizen mit Büchern während der Leningrader Blockade im Zweiten Weltkrieg, als kein anderes Heizmaterial vorhanden war. Grotesk, dieser Roman, aber nicht ganz abwegig, denn die gesellschaftliche Relevanz von Literatur sei doch dramatisch gesunken, klagt Sorokin. Sogar für den Koch Géza geht diese schwarze Messe des Zynismus nicht gut aus.

Vladimir Sorokin: Manaraga. Tagebuch eines Meisterkochs. Roman. Kiepenheuer&Witsch, 251 S., Fr. 25.-

Lyrik der Roma

Roma und Sinti machen nicht nur Musik, sie schreiben auch Lyrik. Erstmals gibt es eine Anthologie mit Gedichten der Roma, Sinti, Gypsies und Jenischen, der grössten europäischen Minderheit. Sie erzählen nicht von Zigeuner-Romantik und Folklore, sind in rund 20 Sprachen geschrieben und erzählen Geschichten von Vertreibung, Sehnsucht, Heimweh und Suche nach der eigenen Identität. Sie handeln von Pferden, Sternen und der Liebe. Aber auch von den Schwierigkeiten des Alltags, vom Hass, der ihnen entgegenschlägt und von der mühsamen Bürokratie. Sie tun es oft mit wunderbarer Komik. Unter den 149 Autorinnen und Autoren sind auch Lieder von Charlie Chaplin zu finden und von Überlebenden der Konzentrationslager. Das Buch entstand in jahrelanger Recherche in Archiven und Antiquariaten.

Die Morgendämmerung der Worte. Poesie-Atlas der Roma und Sinti. Die Andere Bibliothek, 350 S., Fr. 54.-