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Kultur
Nur wenige kennen ihn, die grossen Theater ignorieren ihn. Trotzdem ist Paul Steinmann der meistgespielte Theaterautor der Schweiz.
Sie recken die Fäuste in den Nachthimmel, singen ihren Steinach-Song. Auf der kleinen Steinacher Bühne am Bodenseeufer, zwischen Gredhaus und Trauerweide, entfaltet sich ein poetisch-kraftvoller Theaterabend. 1250 Jahre Geschichte, lustvoll heutig erzählt, das halbe Dorf wirkt mit, und die andere Hälfte schaut begeistert zu.
Genau das ist es, was Paul Steinmann mit seinem Stück «Wasserland» erreichen will, und mit all seinen anderen Stücken, die er seit 35 Jahren für Vereine, Jubiläen und Festspiele schreibt: Eine Geschichte erzählen, die einen besonderen Ort, ein besonderes Ereignis mit heutigen Fragen verbindet. Amateurspieler, die durch sein Stück zur verschworenen Gruppe werden. Ein Theaterabend mit Ausstrahlung für die Region.
Paul Steinmann, 63, ist Theaterautor. Der meistgespielte der Schweiz. Uraufführungen allein in diesem Jahr: Ein Kindertheaterstück, Stücke für Steinach, Benken, Appenzell, Baden, eine Trilogie für Ennetbaden. Was auffällt: Das sind nicht nur wahnsinnig viele Stücke, sie werden auch alle von Amateur- oder Kleintheatern aufgeführt.
Für Steinmann passt das so. Er unterscheidet nicht zwischen Profi- und Amateurtheater - er spricht nie von Laien, immer nur von Amateuren. Für ihn zählt der Moment der Aufführung, wenn ein Publikum sich vom Bühnengeschehen verzaubern, unterhalten, anregen lässt. Da ist es egal, ob das im Stadttheater oder einem dörflichen Hinterhof geschieht.
Wenn Paul Steinmann über seine Arbeit spricht, ist er völlig mit sich im Reinen, und zurückhaltend. Nie nennt er sich Schriftsteller.
«Ein Schriftsteller hat der Welt etwas mitzuteilen, schöpft aus sich selber. Ich bin Autor. Autor für besondere Gelegenheiten.»
Er schreibt nicht nur für Theater in der Provinz, er lebt auch dort. Kollbrunn im Tösstal, ein verschlafenes Dorf an der Strasse nach Winterthur, knapp 2000 Einwohner, eine Schnecke als Wappen. Seit fünf Jahren lebt er hier, in einer ehemaligen Spinnerei am Waldrand.
Sein Zuhause ist mehr Schreibstube als Wohnung. Auf zwei Stockwerken Regale voller Bücher, Schachteln mit Notizen zu seinen Arbeiten, dazu sechs Schreibtische. «Das halte ich wie Bertolt Brecht», sagt Steinmann. Der hatte für jede Schreibarbeit einen anderen Schreibtisch.
Er selber hält es nicht so sklavisch getrennt. Aber wenn er nicht weiterkommt, geht er einfach an den nächsten Tisch. Etwas lesen. Oder sich in ein anderes Thema vertiefen.
Wie viele Stücke er geschrieben hat, muss er erst nachzählen: rund 100. Dazu noch Übersetzungen, Bearbeitungen und Gruppenarbeiten, wo die spielende Gruppe das Stück entwickelt. Mit «Jeda der Schneemann» eroberte er 1986 die Kindertheater, es wird bis heute gespielt. Doch die meisten seiner Auftragswerke werden nur einmal aufgeführt.
Das stört ihn nicht, auch nicht, dass die professionellen Branchentreffen ihn links liegen lassen. «Für mich ist es eine Auszeichnung, dass ich vom Stückeschreiben leben kann.» Dass er damit als Freischaffender seine Familie finanzierte. Und dass er das machen kann, was er gerne macht: Theater.
Dabei wollte er Priester werden, studierte katholische Theologie. Über seine Eltern, begeisterte Mitglieder im Theaterverein im aargauischen Villmergen, kam er früh zum Theater, es war aber reines Hobby für ihn. Doch dann rutschte er hinein, wurde als Schauspieler angefragt, als Regisseur, kam zum Schreiben. Theater wurde nicht nur zur Leidenschaft, sondern zum Beruf.
Woher nimmt er all seine Ideen? «Die Idee steckt doch im Auftrag drin», sagt er. Maria Bildstein in Benken, 500 Jahre Wallfahrtsort, klar muss es da um Maria gehen. Und weil Paul Steinmann Geschichten von heutigen Leuten erzählen will, sucht er nach Verbindungen aus der Geschichte ins Heute. Er liest viel, assoziiert, stöbert in seinem Archiv, in dem er Zeitungsartikel sammelt und Ideen. «Dann fügt sich eines zum anderen.»
Wie lange er noch Auftragswerke verfassen wird, lässt er auf sich zukommen. Vielleicht schreibt er irgendwann auch einmal etwas ohne Auftrag, nur aus sich selbst, das wäre ein Traum, sagt er. Bis dahin lebt er seinen Traum vom Theater.
«Wasserland» Steinach, bis 7.9.2019
«Maria Bildstein» Benken, bis 6.9.2019
«Bilder putzen» Appenzell, 31.10.-22.11.2019