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Kultur
Seit vier Jahren gibt es in der Stützmauer an St.Galler Goliathgasse regionale Kunst für alle – ohne Eintritt, ohne Aufsicht. Die Initiantinnen Marianne Rinderknecht und Anita Zimmermann berichten über ihre Erfahrungen.
Es ist nicht der Ort, an dem man Kunst erwarten würde: Zwischen der Time-Out-Bar, dem Kebab-Restaurant Orange und dem Katharinenhof, einem Treffpunkt für Randständige, befindet sich an der Goliathgasse 15 in St.Gallen das Kunstschaufenster Hiltibold, zwei Vitrinen in einer Stützmauer.
«Mitten in der Partymeile», sagt Anita Zimmermann. Gemeinsam mit Marianne Rinderknecht hat sie das Projekt 2016 ins Leben gerufen. Mit Hiltibold, benannt nach einem Weggefährten von Gallus, wollen die beiden Künstlerinnen Kunstschaffenden mit Bezug zur Ostschweiz eine Plattform bieten.
Eine der beiden Vitrinen bespielt gerade die in Basel lebende Thurgauerin Sonja Lippuner. Die knalligen Farben ihres Gemäldes passen zur ausgelassenen Stimmung an den voll besetzten Tischen auf der Gasse – es ist der erste Freitag seit der Öffnung der Restaurantterrassen.
So einträchtig ist das Nebeneinander von Kunst und Öffentlichkeit nicht immer. Gerade wegen seiner Niederschwelligkeit – Hiltibold hat immer geöffnet, kostet keinen Eintritt und hat keine Aufsicht – prallen vor dem Kunstschaufenster verschiedenste Interessen und Geschmäcker aufeinander. «Hiltibold bildet keinen geschützten Rahmen wie ein Museum. Das ist spannend. Hiltibold ist einfach da», sagt Zimmermann. Marianne Rinderknecht erinnert sich an die Anfänge: Vor den beiden Vitrinen parkierten Autos, Putzmaschinen verspritzten auf ihren Reinigungsfahrten versehentlich die Schaufenster. «Da hatten wir auch zu kämpfen.»
Vor allem aber konfrontiert das Kunstschaufenster Menschen mit Kunst, die sonst keinen Zugang zu dieser Welt haben. Die Reaktionen könnten unterschiedlicher nicht sein: Einmal habe jemand eine Haftnotiz ans Schaufenster geklebt, erzählt Rinderknecht, das Kunstwerk gefalle nicht. Ein zweiter Zettel, später angebracht, widersprach dem. «Das muss man alles aushalten können», sagt Rinderknecht.
Mittlerweile ist Hiltibold, finanziert unter anderem von Kanton und Stadt St.Gallen, dem Thurgau und den beiden Appenzell, zu einer Institution geworden. Die Autos werden längst anderswo parkiert, an den Vernissagen seien jeweils auch Vertreterinnen und Vertreter des Kunstmuseums anwesend, und manch kunstinteressierte Person schaue regelmässig in der Goliathgasse vorbei, um zu sehen, was es Neues gibt. «Hiltibold erfährt heute eine andere Akzeptanz als zu Beginn. Wir werden ernst genommen», sagt Anita Zimmermann.
Das liegt auch an der Qualität der Ausstellungen. Rinderknecht und Zimmermann wählen die Künstlerinnen und Künstler gezielt aus. «Wir sind sehr gut vernetzt in der Szene, kennen viele Kunstschaffende und ihre Themen», erklärt Zimmermann und betont: «Die Qualität muss stimmen.» Als Kuratorinnen sehen sich die beiden indes nicht. «Wir geben den Kunstschaffenden freie Hand und nehmen keinen Einfluss.» Das, so Zimmermann, schätzten diese, ebenso die persönliche Betreuung. «Wir begegnen ihnen als Künstlerinnen und auf Augenhöhe.»
Mittlerweile haben schon über 130 Kunstschaffende ihre Werke in der Goliathgasse präsentiert. Die Kadenz ist hoch: Alle drei Wochen werden die Schaufenster neu bespielt, und das seit Beginn. «Durch die schnellen Wechsel ist ein lebendiger, ernst zu nehmender Kunstort entstanden», sagt Zimmermann. Und so soll es auch weitergehen. An potenziellen Ausstellerinnen und Ausstellern mangelt es auf jeden Fall nicht: «Es ist beeindruckend, wie viel qualitativ hochstehende Kunst es hier gibt», sagt Marianne Rinderknecht. «Die Ostschweiz darf stolz sein auf das regionale Schaffen.»