Kryptisches und Körperliches in der Kunsthalle St.Gallen

Der Amerikaner Aaron Flint Jamison zeigt handgemachte und duftende Objekte.

Nina Keel
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Die Skulptur links ist eine Art Lesemaschine. (Bilder: Benjamin Manser)

Die Skulptur links ist eine Art Lesemaschine. (Bilder: Benjamin Manser)

Eine doppelte Einladung führte Aaron Flint Jamison nach St.Gallen: Vor einigen Jahren schon klopfte Roland Früh, der Kunstbibliothekar des Sitterwerks beim bibliophilen Künstler an, und dann auch Giovanni Carmine, der Direktor der Kunsthalle St.Gallen. Schliesslich sagte Flint, wie ihn alle nennen, zu. Mehrere Wochen war er Gastkünstler im Sitterwerk, wo er seine Ausstellung vorbereitete.

Zum Gespräch kam es denn auch nicht in der Ausstellung, sondern in der Kaffeeküche des Sitterwerks, zwischen Konfitürenbrot und dem Anziehen seiner Veloschuhe. Flint war unterwegs Richtung Ausstellungsaufbau in der Kunsthalle. Das Gespräch aber drehte sich als erstes ums Appenzellerland. Flint berichtete von Trogen, Stein und Schwellbrunn. Orte, an denen der Künstler in den letzten Wochen mit seinem aus den USA mitgebrachten Klappvelo vorbeikam.

Velofahren, das ist für den heute in Portland lebenden Konzeptkünstler ebenso elementar wie das Büchermachen, Gedichteschreiben, die Beschäftigung mit Informationsflüssen und der Digitalisierung. «Velotouren helfen mir dabei, den Körper besser zu verstehen, das eigene menschliche Kapital und seinen Wert», beschreibt Flint den physischen Ausgleich.

Duftendes und Konzeptuelles

Eingangtor aus Zedernholz.

Eingangtor aus Zedernholz.

Ansonsten hat er sich in St.Gallen hauptsächlich mit Zedernholz, Aluminium und Plastik befasst, den Hauptmaterialien seiner Ausstellung. Hinzu kamen Produktionsprozesse der Kunstgiesserei, auf die er für die neuen Werke zurückgriff: Mitgebrachte Zedernhölzer liess er sich von einer CNC-Fräse in kleinere Formen schneiden, die er danach in mühseliger Kleinarbeit säuberlich verklebte. Bereits beim ersten Werk, einem wohlriechenden und stets offenstehenden Portal aus Zedernholz, zeigt sich, was die Schau aus materieller Sicht ausmacht: Handgemachtes und Digitales geben sich die Hand – und die Schulter, wie noch zu sehen sein wird.

«Opportunity Zones», Möglichkeitsräume, lautet der Titel der konzeptuellen Ausstellung, zur welcher Flint ein Pamphlet veröffentlicht hat, das Überlegungen zu Kapitalfluss, Mobilität oder Fragilität enthält. Das übergreifende Thema der Schau umschreibt der Künstler so: «Die Ausstellung handelt von Verantwortung und Möglichkeiten ganz allgemein – in Bezug auf Institutionen, auf Individuen, auf die Gesellschaft oder auf Materialien.» Offensichtlich ist das beim Gang durch die Ausstellung bei Weitem nicht, aber das ist es grundsätzlich nie bei Flint, der die offene Interpretation gegenüber der eindeutigen Festschreibung vorzieht.

Die beiden Aluminiumregale verbreiten gehörig Lärm.

Die beiden Aluminiumregale verbreiten gehörig Lärm.

Was in der persönlichen Begegnung mit dem Künstler äusserst schlüssig erscheint, erweist sich in der Ausstellung erst als anstrengend. Zwei Aluminiumregale im ersten Raum etwa bewegen sich lärmend auf und ab und verweisen umständlich auf das Gurtlitt-Erbe, welches das Kunstmuseum Bern geschenkt erhielt. Interessant wird die Ausstellung dort, wo das Körperliche und Handwerkliche überwiegen.

Medizinische Aufnahmen von der Schulter des Künstlers.

Medizinische Aufnahmen von der Schulter des Künstlers.

Noch im ersten Raum hängt ein Objekt, das neugierig macht. Es setzt sich zusammen aus 31 Drucken mit kreisrundem Motiv. Sie zeigen eine medizinische Aufnahme von der Schulter des Künstlers. Kürzlich hat er sie bei der zu häufigen manuellen Betätigung einer Buchdruckpresse verletzt.

Verschmelzung von Körper und Druck

Buch kombiniert mit Obearmknochen aus Holz.

Buch kombiniert mit Obearmknochen aus Holz.

Noch reizvoller, weil aus duftendem Kampferholz, ist eine Art auf dem Rücken stehendes Buch, das in einem der kabinettartigen Räume zu sehen ist. Das Werk heisst «Game Ready» und ist über einen hölzernen Knochen an der Wand angebracht, der in Form eines digital gefertigten Oberarmkopfes/Gelenkes seinen Abschluss findet. Die beiden Objekte, produziert auf derselben Druckpresse, die auch die Verletzung verursachte, zeugen von einer Verschmelzung von Körper und Druck. Flint selbst ermahnen sie an Eigenverantwortung und Achtsamkeit. «Velofahren», sagte Flint am Ende des Gesprächs, «das bedeutet für mich auch, zu sich selbst schauen.»

«Opportunity Zones», Kunsthalle St.Gallen, bis 5.1.; kurze Führung mit kleinem Imbiss 14.11., 12.30 Uhr.