Supermodel, Fotografin, Kriegsberichterstatterin und Gourmet-Köchin: Das aussergewöhnliche Lebenswerk der aussergewöhnlich begabten Künstlerin Lee Miller wird erstmals in einer Ausstellung im Toni Areal Zürich gezeigt
Elisabeth Miller, geboren 1907, begann ihre Karriere als Fotomodell. Ende der 1920er Jahre posierte die Muse von Edward Steichen, blauäugig, blond und wunderschön als eines der begehrtesten Supermodelle für alle grossen Fotografen der damaligen Zeit. Eine Illustration ihres makellosen Gesichts, Miller war gerade 20 Jahre jung, erschien 1927 als Titelbild der US-Frauenzeitschrift Vogue. Doch das Covergirl war des Modellstehens bald überdrüssig, wollte mehr, wollte hinter der Kamera arbeiten und fand in Man Ray den perfekten Lehrmeister. Die Schülerin erwies sich als hochbegabt, war nicht nur inspirierende Quelle, sondern die treibende Kraft des gemeinsamen Schaffens.
In Paris freundete sich die surrealistische Fotografin mit allen wichtigen Künstlern der Avantgarde an. Auf der Flucht vor dem vor Eifersucht rasenden Geliebten, Man Ray, ging sie 1932 zurück nach New York und betätigte sich mit neuem Vornamen Lee selbständig in ihrem Fotostudio für Porträtfotografie.
In der ägyptischen Wüste, nun Ehefrau eines reichen Geschäftsmann, in Kairo wohnhaft, entstand eine ihrer bekanntesten surrealistischen Arbeiten «Portait of Space». Nach wenigen Jahren kehrte Mille zu ihren Künstlerfreunden nach Paris zurück. Anfang der 1940er Jahre brillierte die neue Partnerin des Surrealisten und Kunstsammlers, Roland Penrose, in London mit Modefotografien. Vor zerstörten Gebäuden als makabre Kulissen inszenierte sie ihre Modelle mit bissigem Witz für die britische Vogue.
Ihr Kampf gegen den Krieg veranlasste sie zu einem erneuten Rollenwechsel. 1944 akkreditierte sie sich bei der US Army als Kriegsreporterin und verfasste die Berichterstattung über die Gräueltaten der Nazis gleich selbst. «Believe it», «glaubt es», schrieb sie ihrer weibliche Leserschaft der Vogue. Die unerschrockene Kriegsreporterin, die Lee Miller geworden war, fotografierte 1945 – mit surrealistischem Blick – bei der Befreiung der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald, inszenierte sich am 30. April 1945 nackt in Hitlers Badewanne, wo sie, wie sie selber schrieb, sich den Dreck von Dachau abwusch.
Thematisch gegliedert und chronologisch aufgegleist, zeigt das Museum für Gestaltung im Toni Areal die wichtigsten Stationen und Fotografien dieser aussergewöhnlichen, starken Frau. Ihr Sohn Antonoy Penrose hatte ihr fotografisches Werk und Wirken im Verlauf mehrerer Jahrzehnte einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Unter den Titeln «Fotomodell», «Mode und Porträts», «Surrealismus», «Frauen im Krieg», «Millers Krieg», «Konzentrationslager», «Befreites Paris», sind Schaffensperioden und fotografische Gebiete gebündelt. Ergänzt werden die Bilder mit zwei kurzen Propagandafilmen aus den 1940er Jahren und einem 25-minütigen Film über Lee Miller und Man Rays Zusammenarbeit. Kleinformate Vintage-Prints, hinter Passepartout in schwarzem Rahmen sowie grosse digitale Drucke und Leuchtkastenfotografien erlauben einen einmaligen Einblick in das einzigartige, facettenreiche Œuvre.
Ihre Biografie endet meist mit dem Hinweis, dass sie durch die Erlebnisse im Krieg unter Depressionen litt und zu viel Alkohol trank. Doch damit wird man Lee Miller nicht gerecht. Sie konnte sich wieder auffangen und erfand sich noch einmal neu. In den letzten beiden Jahrzehnten ihres Lebens verwirklichte sich die Fotografin in ihrer Rolle als Gourmetköchin von kulinarischen Köstlichkeiten. Die Stationen «Food, Friends, Farley Farm» und «Kochkunst» zeigen sie in diesem Tätigkeitsfeld. Gemeinsam mit ihrem Mann Roland Penrose lud sie ihre geliebten Freunde auf den Landsitz in Sussex ein, porträtierte Pablo Picasso, Joan Miró, Antoni Tàpies und andere weltberühmte Künstler.
Von ihrem Ausflug ins Appenzellerland sind keine Bilder erhalten. Das Museum für Gestaltung ergänzt ihren Text «Urnäsch – Kurpfuscher und Wunderheiler» mit etwa zeitgleichen Fotografien einer Schulreise des berühmten Fotolehrers Hans Finsler mit seiner Fotoklasse ins Appenzellerland. Und hier schliesst sich denn der Kreis. In den 1950er Jahren, genauer im Jahr 1956, hatte die Witwe des weltberühmten Magnum Fotografen Werner Bischof, Rosellina Burri-Bischof für das Museum für Gestaltung eine Ausstellung über den international bekannten Magnum Fotografen Henri Cartier-Bresson realisiert. 43 Jahr nach ihrem Tod wird Lee Miller nun erstmals in der Schweiz gezeigt. Weshalb hat das so lange gedauert?
Museum für Gestaltung Toni-Areal: «Lee Miller Fotografin – zwischen Krieg und Glamour». Bis 3. Januar 2021.