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Vom Vorarlberger Bauernmädchen, das beim Viehhüten malte, zur gefeierten Künstlerin zur NSDAP-Funktionärin. Der Wiener Dramatiker Thomas Arzt bringt das widersprüchliche Leben der Vorarlberger Malerin Stephanie Hollenstein auf die Bühne in Bregenz.
Ihre Bilder faszinieren bis heute. Expressionistische Farbexplosionen, kräftig der Strich, eigen der Blick auf die Landschaft. Doch noch mehr als ihr Werk fasziniert ihr Leben. Stephanie Hollenstein wirft Fragen auf.
Der Wiener Dramatiker Thomas Arzt stiess letztes Jahr bei der Recherche für ein anderes Stück auf die Vorarlberger Künstlerin Stephanie Hollenstein (1886-1944), und war entflammt. Was für eine Persönlichkeit! Die Parallelen zu heute! Und vor allem: Wie kann es sein, dass eine Frau, die so modern gemalt und gelebt (sie war lesbisch) hat, ins Fahrwasser des Nationalsozialismus kam? «Ihre Biografie ist voller Widersprüche», sagt Thomas Arzt.
Er schlug dem Landestheater Bregenz Hollenstein als Thema eines Theaterstückes vor – und bekam prompt den Auftrag. Jetzt feiert «Hollenstein, ein Heimatbild» Uraufführung.
Stephanie Hollenstein, geboren 1886 in Lustenau, Vorarlberger Bauernmädchen, das beim Viehhüten zeichnete, ohne Aufnahmeprüfung an der Königlichen Kunstgewerbeschule München studieren durfte. Im Ersten Weltkrieg schmuggelte sie sich als Stephan Hollenstein an die Front, wurde ausgezeichnet, flog auf, kam als Kriegsmalerin zurück an die Front.
In den Zwischenkriegsjahren feierte sie Erfolge in Wien, war Mitbegründerin der Gruppe «Wiener Frauenkunst», wurde Mitglied der NSDAP, als dies noch verboten war, und stieg nach dem Anschluss Österreichs an Nazideutschland auf zur Vorsitzenden der Vereinigung Bildender Künstlerinnen der Reichsgaue der Ostmark. Kunst, lesbisches Leben und Nationalsozialismus waren für sie kein Gegensatz.
Thomas Arzt hat kein Biopic geschrieben. «Mich interessiert Geschichte immer als Spiegel für die Gegenwart», sagt er. Was treibt die Figur an? Wo würde man sie heute wiederfinden? «Es gibt nicht die eine Wahrheit, sondern verschiedene Bilder nebeneinander», sagt Arzt. So baute er auch sein Stück auf: als Szenenfolge in 19 Bildern.
Der Dramatiker recherchierte in Hollensteins Nachlass im Stadtarchiv Lustenau und in der Galerie Hollenstein in Lustenau. «Die Faktenlage ist gut», sagt er. Beim Schreiben habe er sich an den Fakten orientiert. Für ihn essenziell: Den Spuren nachzugehen, die erzählen, wie schwer es ist, sich einer Ideologie zu entziehen. Oder eben, wie leicht man von einer Ideologie verführt wird.
Ob er sich nicht der Gefahr aussetzt, eine NSDAP-Frau auf ein Podest zu heben? «Ich wahre immer Distanz», sagt Thomas Arzt. Er gebe die Frage an die Zuschauer weiter. «Das Publikum muss sich ein eigenes Bild machen.»
Ans Ende seines Stücks hat er den Monolog einer Mitstreiterin und Künstlerkollegin Hollensteins gestellt. Helene von Taussig wurde deportiert und in Polen umgebracht. Hollenstein, die sich für Kollegen einsetzte, damit diese weiterarbeiten konnten, hätte den Einfluss gehabt, Helene von Taussig zu schützen, sagt Arzt. Aber sie tat es nicht.
Hollenstein malte im Nationalsozialismus schöne Landschaften, um nicht als entartete Kunst zu gelten. Man suche immer das Hakenkreuz in ihren Bildern: «Das findet man zwischen den Zeilen und Strichen.»
Wie sehr verkaufe ich mich? Diese Frage stellt Arzt ins Zentrum. Zum einen geht es um Geld, Hollenstein habe immer um Anerkennung gerungen. Und dann geht es um Haltung. Um Demokratie. Arzt sieht sich als politischen Autor: «Theater muss etwas auslösen», sagt er. Seine Aufgabe als Erzähler: Zu Reflexion anregen. Mit «Hollenstein, ein Heimatbild», ist ihm das gelungen.
«Hollenstein, ein Heimatbild» von Thomas Arzt; Premiere 6.3.2020, Landestheater Bregenz