Pepe Lienhard: «Star-Gehabe wäre mir zu anstrengend»

Pepe Lienhard hat mit Frank Sinatra, Sammy Davis jr. und natürlich Udo Jürgens gearbeitet. Doch der Bandleader ist immer auf dem Boden geblieben. Das ist eine Stärke von ihm – oder vielleicht eher eine Schwäche?

Interview: Pirmin Bossart
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Lieber zu Hause als im Luxushotel: Pepe Lienhard, 72, vor seinem alten Bauernhaus in Frauenfeld. (Bild: Ralph Ribi (3. Oktober 2018))
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Wann immer er Zeit hat, füttert Pepe Lienhard seine Hühner und Kaninchen, und er mistet auch ihre Ställe aus. (Bild: Reto Martin (25. Sept. 2018))

Lieber zu Hause als im Luxushotel: Pepe Lienhard, 72, vor seinem alten Bauernhaus in Frauenfeld. (Bild: Ralph Ribi (3. Oktober 2018))

1980 feierten Sie mit der Big Band Premiere. 38 Jahre später sind Sie noch immer mit der Big Band unterwegs. Dabei sind Sie längst im Pensionsalter. Was hält Sie dran?

Kommen Sie mir nicht mit Pension. (Lacht.) Ein Musiker, der mit 65 nichts mehr mit Musik zu tun haben will und sein Instrument weglegt, ist für mich kein Musiker. Es ist ein Glücksfall, wenn man von der Musik leben kann. Es gibt keinen Grund, damit aufzuhören. Es sei denn, die Gesundheit setzt Grenzen oder das Publikum macht nicht mehr mit. Natürlich: Dass ich mich mit einer Big Band so lange im Geschäft halten konnte, hat viel damit zu tun, dass ich jahrelang mit Udo Jürgens zusammengearbeitet habe.

Über 30 Jahre haben Sie Udo Jürgens auf dessen grossen Tourneen begleitet. 2014 ist er überraschend gestorben. Wie hat Sie das getroffen?

Kurz vorher waren wir zusammen auf Tour, es war seine erfolgreichste, die er je hatte. Am Abend vor seinem Tod ­haben wir noch zusammen gegessen. Er war voller Pläne, nichts von Müdigkeit, nie hat er gejammert. Und dann zack – ist er weg, für immer. Trotz seiner 80 Jahre waren wir auf dieses plötzliche Ende überhaupt nicht vorbereitet. In den letzten Jahren lebte er geografisch in meiner Nähe. Das hat uns menschlich noch stärker zusammengebracht. Wir haben uns mehrmals in der Woche getroffen.

Udo Jürgens hat sicher dazu bei­getragen, aber Sie scheinen auch sonst seit Jahrzehnten ein Liebling der Unterhaltungsbranche und der Medien zu sein. Wie schaffen Sie das?

Ich sehe das als Resultat meiner Erziehung. Meine Mutter hatte einen Lebensmittelladen. Wir lernten schon früh, freundlich und zuvorkommend mit den Kunden zu sein – mit allen Kunden. Ich lernte einen respektvollen Umgang mit den Leuten, egal welcher Herkunft. Das ist mein Kapital bis zum heutigen Tag. Im Fernsehen passte mir auch nicht ­alles. Aber ich wollte mich nie gross aufspielen, es war nicht meine Art.

Zu Ihrem Charakter gehören Bescheidenheit und Understatement: Das sagen alle, die mit Ihnen zu tun haben. Ist das Ihre Stärken? Oder wären Sie ohne diese Qualitäten noch weitergekommen?

Ich habe mich nie bemüht, Everybodys Darling zu sein. Eine Starrolle zu spielen, hätte mir nicht behagt. Auf der Bühne trete ich im Smoking auf, für das Fernsehen schminke ich mich, aber ich würde nie so unter die Leute gehen. Ich bin so, wie ich bin. Ein Lenzburger. Das ist für mich einfacher. Das Stargehabe wäre mir viel zu anstrengend. Ich bin immer gerne mit sogenannt normalen Leuten zusammen, das war mir ebenso wertvoll wie das Showbusiness. Ob ich mit mehr Starallüren weitergekommen wäre, weiss ich nicht. Ich bin einfach nicht so.

Ihr neues Programm ist ein Mix aus Filmmusik, Swing, Frank ­Sinatra und Udo Jürgens. Wollen Sie es musikalisch allen recht ­machen?

Allen nicht, aber sicher meinem Publikum. Lange Zeit war unser Programm auf Swing fokussiert. Aber wenn wir allzu heftige Nummern spielten, die uns Spass machten, ging das oft am Publikum vorbei. Wer wirklich modernen Jazz mag, geht das an anderen Orten abholen. Ich habe ein Publikum, das gerne ein grosses Orchester hört, aber auch schöne Melodien will. Es darf nicht allzu ­modern sein, sonst machen meine Besucher lange Gesichter. Aber bei Bert Kaempfert beginnen sie zu strahlen.

Gibt es Musik, die Sie nie spielen würden, auch wenn Sie es könnten?

Volkstümliche Schlager sind nicht meine Welt. Aber ich will das nicht schlechtreden. Ich sehe, dass diese Musik ein Publikum hat und die Leute glücklich macht. Nur: Wenn ich sie spielen würde, wäre das nicht glaubwürdig. Im nächsten März werde ich an einer Ländler-Gala mit Carlo Brunner im KKL Luzern spielen. Auch das ist nicht unbedingt mein «cup of tea». Aber ich habe null Probleme damit, dort mitzutun. Die Stücke fordern mich als Saxofonisten. Ich werde ziemlich üben müssen.

Sie haben ein grosses Herz für Jazz. Verehren Sie vor allem Swing, oder gehört da auch Modernes dazu?

Persönlich höre ich sehr gerne den Jazz der 1950er- und 1960er-Jahre, Be Bop und Hard Bop, am liebsten auf Platte. Musiker wie Miles Davis, John Coltrane, Art Blakey, Hank Mobley, Freddie ­Hubbard oder Sängerinnen wie Sarah Vaughan. Ich habe alle live gesehen, so ist das ein doppeltes Vergnügen.

Warum haben Sie diese musika­lischen Welten nicht tiefer verfolgt und sind statt dessen ein Unter­haltungsmusiker geworden?

Es war ein fliessender Übergang. Mit 12 Jahren hatte ich in Lenzburg mit The College Stompers bereits eine Dixieland-Band. Mit 15 hörte ich Quincy Jones. Seine Band mit Musikerin wie Phil Woods, Curtis Fuller oder Freddie ­Hubbard war ein Schlüsselerlebnis für mich. Seitdem träumte ich von einer eigenen Big Band. 1963 gründete ich mit 17 Jahren eine Amateur-Big-Band. Damit schafften wir es auf die Titelseite der «Schweizer Illustrierten». Daneben habe ich immer Tanzmusik gespielt, um Geld zu verdienen. Die Arrangements habe ich alle selber geschrieben.

Aber Sie gingen ja auch noch irgendwie zur Schule, oder?

Ich machte die Bezirksschule und ging dann an die Kanti. Nach der Matura im Jahr 1966 begann ich, Jus zu studieren. Eher halbherzig, mehr den Eltern zuliebe, mein Herz schlug für die Musik. Schon die Matura hatte ich mehr schlecht als recht hinter mich gebracht, ich hatte vor lauter Musik ja gar keine Zeit zum Lernen. Ich hatte das Glück, dass ich für die Expo 1964 ein Musical schreiben konnte, das am aargauischen Jugendtag aufgeführt wurde. Nachher machten wir eine Tour im Aargau. Das hat mir viel Goodwill eingebracht und sicher geholfen, dass die Schulleitung ein grosses Auge zudrückte.

Was waren die nächsten wichtigen Stationen?

1967 lernte ich Freddy Burger kennen, der Manager der Sauterelles war. Er motivierte mich zu einer Profimusiker-­Karriere, die ich 1969 begann. Da ich als Saxofonist mehr im Jazz als in der Rockmusik beheimatet war, wurde das Hazy Osterwald Sextett zum Mass aller Dinge. Ich gründete das Pepe Lienhard Sextett. Wir verstanden uns als Tanzband, aber mit anspruchsvollen Nummern. Natürlich rutschten wir dann immer mehr ins Kommerzielle. In Deutschland bekamen wir die Chance, bei Galas als Zweitband mit den grossen Orchestern von Paul Kuhn, Max Greger oder Hugo Strasser aufzutreten.

Und dann kam 1977 die «Swiss Lady» und mit ihr ein Hit, auf den Sie immer wieder behaftet werden.

Es war ein Versuch, mit einem deutschen Song einen Hit zu landen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir nur englische Titel im Programm. Peter Reber schrieb den Song für uns. Wir gewannen die Schweizer Ausscheidung für den Eurovision Song Contest und landeten schliesslich auf Platz 6. Der Song katapultierte uns in eine andere Liga. Wir flogen im Privatjet von TV-Sendung zu TV-Sendung, hatten Autogrammstunden, einen Fanclub, das ganze Drum und Dran. Der Versuch, eine ganze LP mit deutschen Schlagern zu machen, floppte aber. Ich merkte, das war nicht unser Ding. Ohnehin wollten die Leute immer nur «Swiss Lady» hören. In dieser Zeit traf ich Udo Jürgens, er hatte den gleichen Manager. Mit ihm begann dann ein anderes Kapitel. Das erleichterte es mir auch, ein paar Jahre später den Traum einer eigenen Big Band zu realisieren.

Mit populärer Musik erreicht man sehr viele Menschen. Gibt es noch andere Gründe, warum man gerne Unterhaltungsmusik macht?

Ich spiele keine Musik, die mir nicht selber gefällt. Auch Bert Kaempfert oder Louis Prima treffen bei mir einen Nerv. Insofern muss ich mich bei kommerzieller Musik nicht verbiegen. James Last hingegen könnte ich nicht spielen, das ist nicht mein Puls, das würden mir die Leute nicht abkaufen. Was ich meine: Man kann nicht einfach einen anderen Hut aufsetzen, nur weil er mehr Geld bringt. Es muss authentisch sein.

Schon als Bezirksschüler gründeten Sie 1958 eine Dixie-Band. Welches Lebensgefühl hatten Sie damals? Jazz war ja etwas Rebellisches.

Da muss ich leider passen. Ich war ein braver Jugendlicher, fast langweilig. Ich ging völlig in der Musik auf und habe immer geübt. In der Freizeit habe ich Noten geschrieben, wenn sich die andern an der Töffliecke trafen. So habe ich auch verpasst, das Rauchen zu lernen. Musikalisch interessierten mich die Arrangements von Chris Barber oder der Dutch Swing College Band, also eher die gefällige Art von Jazz. Das waren meine Vorbilder und nicht der authentische Jazz von Louis Armstrong.

Bei Ihrem Engagement 1983 in Monte Carlo trafen sie Frank Sinatra, Sammy Davis jr, Paul Anka. Waren Sie da nervös?

Und wie ich war! Frank Sinatra war schon drei Tage vorher in Monte Carlo und bei unseren Proben dabei. Ich war der Altsaxofonist in der Band. Er hat zugehört und sich ein genaues Bild gemacht. Das hat mich aus den Socken gehauen. Von ihm und auch von Udo habe ich gelernt: Jedes Konzert ist wichtig und absolut ernst zu nehmen. Es gibt keine Ausreden wegen schlechtem Sound, schlechtem Saal. Die Leute haben bezahlt. Es muss einfach klingen und eine perfekte Show sein, egal wie die Bedingungen sind.

Jahrelang waren Sie Stammgast in TV-Shows und haben in zahlreichen anderen Auftritten mit Promis und an erlauchten Orten das Unterhaltungsmilieu eingehend kennen gelernt. Welche Welt ist das? Haben Sie sich da wohl gefühlt?

Ich habe mich in all diesen Situationen wohl gefühlt. Aber dann bin ich immer gerne nach Hause gefahren statt in einem Luxushotel zu übernachten. Dann habe ich den Hühnerstall ausgemistet oder bin mit dem Hund spazieren gegangen. Die Tiere waren mein Erdungspunkt. Ich habe das sehr genossen. Es war ein super Ausgleich. So konnte ich auch mit Freuden wieder auf die Showbühne treten.

Sie sind grosser Tierfreund. Warum?

Tiere sind nie oberflächlich. Sie sind auch nicht beeindruckt von deiner Karriere. Sie verstehen nicht, wenn du keine Lust hast oder ungeduldig bist. Sie widerspiegeln, was du entgegen bringst, sie reagieren direkt. Das ist immer eine ­Herausforderung.

Wie viele Tiere hatten Sie zu Ihrer besten Zeit?

Als ich im Tessin lebte, in einem grossen Haus mit einem grossen Park, hatte ich 300 Vögel, 2 Hunde, 5 Katzen, 2 Stinktiere und einen grossen Papagei im Wohnzimmer. Seit sieben Jahren wohne ich mit meiner zweiten Frau in einem alten Bauernhaus in Frauenfeld. Den Zürcher Thurgau-Reflex habe ich mir schnell abgewöhnt. Als wir das Haus ­sahen, spürten wir sofort: Das ist es! Und wir haben es keine Minute bereut. Wir halten Hühner und Kaninchen und haben einen altdeutschen Schäferhund. Wann immer ich Zeit habe, füttere ich die Tiere oder miste den Stall. Auch der grosse Garten mit seinen lauschigen Ecken ist wichtig.

Sie haben vor zwei Jahren den 70. Geburtstag gefeiert: Gibt es Qualitäten oder Werte, die Ihnen im Alter wichtiger geworden sind?

Ich bin sicher gelassener geworden, gehe mit Stress entspannter um, rege mich weniger auf über gewisse Sachen. Ich kann auch besser zuhören als früher, als ich immer einen gewissen Speed hatte und ungeduldiger war. Das tut auch der Partnerschaft gut.

Ihre Frau ist 24 Jahre jünger als Sie. Je älter man wird, um so bedeutsamer kann dieser Unterschied werden. Macht Ihnen das keine Sorgen?

Das ist für uns kein Problem. Wir geniessen den Moment, sitzen auch mal im Garten, betrachten die Bäume und Pflanzen, sind glücklich, wie es ist. Einfach sein, das ist ein neues Gefühl. Früher musste immer etwas los sein.

Beschäftigt es Sie, dass der Rummel vielleicht dann einmal endgültig vorbei sein wird?

Ich habe das Gefühl, dass ich gut damit werde umgehen können. Wenn es mal aufhört, habe ich Tausende von Büchern und Platten, denen ich mich widmen kann. Ich habe auch Kontakte zu jüngeren Musikern und Szenen, die mich jung halten. Das gilt auch für meine zwei Töchter, mit denen ich gerne zusammen bin. Ich denke also nicht, dass ich einmal ins Loch fallen werde, wie man so sagt. Aber wie es dann wirklich ist, man weiss es erst, wenn es so weit ist.

Haben Sie bei all ihren Aktivitäten noch selber Lust auf Kultur? Wo trifft man Sie dann am ehesten an?

Wenn immer ich Zeit habe, besuche ich Konzerte. Ich habe eine Dauerkarte im Jazzclub Moods in Zürich, aber gehe auch nach Bern ins Bierhübeli oder in den Marians Jazzroom. Auch in Frauenfeld ist immer was los in Sachen Jazz. Alle zwei Jahre findet dort das super Festival «Generations» statt. Kürzlich habe ich dort das Maria Schneider Orchestra gesehen. Eher selten, aber gerne bin ich mal an einem klassischen Konzert am Lucerne Festival oder gehe mit meinen Schwiegereltern in die Oper. Ich liebe auch Kino.

Was sind Ihre liebsten Reiseziele?

Ich besuche gerne tropische Länder. Das hat mit meiner Liebe zu den Vögeln zu tun. Dann übernachte ich auch mal in einfacheren Lodges mitten in der Natur, fahre im Boot die Flüsse hoch, wandere durch den Dschungel und beobachte ­Vögel. Im Januar reise ich mit meiner Frau nach Costa Rica. Auch sie liebt die Natur und die Tiere. Costa Rica ist ein hervorragendes Land, um Vögel zu sehen. Ich bin in anderen Ländern schon drei Tage durch einen Dschungel gelaufen und habe kein einziges Tier gesehen. In Costa Rica ist das ganz anders. Die Fauna ist dort viel entspannter, weil schon früh Schutzzonen und Nationalparks eingerichtet wurden.