Der frühere Afrika-Korrespondent Ruedi Küng kennt den Ostkongo, den Schauplatz von Milo Raus Dokumentarfilm, von mehreren Aufenthalten aus eigener Anschauung. Er erläutert einige der Hintergründe.
Interview: Geri Krebs
Ruedi Küng, im Osten des Kongos schwelt seit 20 Jahren ein Konflikt. Er hat mehrere Millionen Menschen das Leben gekostet und weitere Millionen zu Flüchtlingen gemacht. Was müsste sich konkret ändern?
Die Lage in dieser Weltgegend, die über einen so immensen Reichtum an Bodenschätzen verfügt wie kaum eine andere, ist extrem kompliziert. Eine einfache Antwort auf die Frage ist deshalb fast unmöglich. Ganz vereinfacht aber: Es bräuchte eine Zentralgewalt, also eine Regierung, im Kongo, die den Willen hätte, diesen Zustand der Instabilität im Osten des Landes zu beenden. Eine schwierige Aufgabe in jedem Fall.
Die kongolesische Regierung hat also ein Interesse an einer Fortdauer dieses Zustandes?
Genau – und das sagt sogar im Film einmal jemand. Denn man muss wissen, der Ostkongo liegt 2000 Kilometer von der Hauptstadt Kinshasa entfernt und ist von dort aus nur per Flugzeug erreichbar. Von den Nachbarländern Ruanda und Uganda aus gibt es dagegen zahlreiche Landverbindungen. Und spätestens seit dem Genozid in Ruanda von 1994 und der anschliessenden französischen Militärintervention – bei der die Täter des Völkermords mit ihren Waffen ins Nachbarland Kongo flüchteten – ist der Ostkongo eine Gegend, wo es nur so wimmelt von bewaffneten Gruppen und Milizen aller Art.
Was sollte man über den Ostkongo noch wissen?
Der Ostkongo war das Gebiet, wo 1996, angeführt vom Vater des heutigen Präsidenten, die Revolte gegen den kongolesischen Langzeitdiktator Mobutu angefangen hatte. So herrscht im Ostkongo seit über zwanzig Jahren zwar ein Zustand der Gesetzlosigkeit – was aber dennoch nicht heisst, dass der kongolesische Staat hier abwesend wäre. So gibt es einen Gouverneur – den man im Film ebenfalls sieht – eingesetzt vom kongolesischen Präsidenten Joseph Kabila; auch die Armee ist durchaus präsent.
Aber die Armee hat hier nicht viel zu sagen?
Doch, aber sie arbeitet bald mit den einen, bald mit den anderen Milizen zusammen. Und diese Unordnung nützt der Regierung insofern, als es so keine Kräfte gibt, die den Präsidenten Joseph Kabila zum Rücktritt zwingen könnten. Gemäss kongolesischer Verfassung und gemäss UNO-Beschluss hätte Kabila sein Amt längst abgeben müssen. Doch weil er für eine gewisse ‹unstabile Stabilität› sorgt, mischt sich die internationale Gemeinschaft nicht mehr allzu sehr ein.
Nach dem, was Sie bis jetzt gesagt haben, erhält man den Eindruck, die Verantwortung liege mehr bei der kongolesischen Regierung. Der Film verortet diese eher bei den internationalen Rohstoffkonzernen, welche die dortigen Bodenschätze ausbeuten?
So einfach ist es nicht. In Tat und Wahrheit sitzen letztlich diese Rohstoffkonzerne am längeren Hebel. Sie haben eine unglaubliche Macht, für sich profitable Verträge zu erwirken. Und es ist keineswegs so, dass es auf der Seite der afrikanischen Eliten keine Anstrengungen gäbe, etwas zu verändern.
Wissen Sie ein Beispiel?
Eine vom Parlament eingesetzte Kommission hatte vor neun Jahren sämtliche Verträge mit den internationalen Minen- und Rohstoffkonzernen überprüft. Die Überprüfung kam zum Schluss, dass kein einziger zu Gunsten des Kongo ausfiel und folglich sämtliche durch massive Schmiergeldzahlungen zustande gekommen waren. Passiert ist danach aber nichts, unter anderem weil die Behörden kaum eine juristische Handhabe gegen die Verträge haben. Auch fehlt es ihnen an Macht, um im Ostkongo den Gesetzen Nachachtung zu verschaffen.
Ist es naiv, darauf zu insistieren, dass sich das ändern könnte – so wie das unter anderem Milo Rau mit dem «Tribunal» im Film versucht?
Nein, überhaupt nicht. Das Problem sind nicht nur die afrikanischen Regierungen, die korrupt sind und nichts für die Bevölkerung tun. Das Problem sind auch die Multis. Wie schwierig es für afrikanische Regierungen ist, sich durchzusetzen, zeigen zwei aktuelle Beispiele: So verlangte die Regierung von Sambia kürzlich von den grossen Rohstoffmultis, wie etwa Glencore (mit Sitz in der Schweiz), höhere Strompreise. Sambias Regierung sieht sich im Recht, die erhöhten Strompreise, die das Land den südafrikanischen Zulieferern zahlen muss, an die Multis mit ihrem hohen Stromverbrauch weiterzugeben. Doch Glencore mit seiner Kupferschmelze weigert sich, mehr zu bezahlen, und beruft sich auf früher abgeschlossene Verträge. Ähnliches geschieht derzeit in Tansania. Der dortige Präsident hat den internationalen Minengesellschaften sogar gedroht, die Minen zu schliessen, wenn sie nicht zu neuen, für Tansania besseren Verträgen bereit seien. Ob er diesen Schritt allerdings durchziehen kann, steht auf einem anderen Blatt.