Auf dem Bramberg veranstaltet der Kulturhof Hinter Musegg sein zweites Sommerfestival. Ein Augenschein bei dem Kleinkunstanlass mit familiärem Charme und vor einmaliger Kulisse.
Besser kann die Lesung eines Romans in Luzerner Mundart kaum verortet werden: Autor Béla Rothenbühler sitzt entspannt in einem Sessel auf einer Minibühne, welche sich im Erdgeschoss des Männliturms befindet. Umgeben von den historischen Gemäuern, dem Rauschen des Windes und dem Zwitschern der Vögel, legt Rothenbühler los und erzählt in «Provenzhauptstadt» aus dem wilden Leben eines Luzerner Jungerwachsenen. Er ist so etwas wie der Dauerbrenner des diesjährigen Sommerfestivals, welches der Kulturhof Hinter Musegg nach 2018 nun zum zweiten Mal durchführt. Insgesamt an sechs Abenden liest Rothenbühler aus seinem Buch vor, jedes Mal mit gleichem Beginn, ehe er seine Geschichte häppchenweise weitererzählt.
Am Mittwochabend startete das Sommerfestival in seine zweite Woche. Rothenbühler ist einer von insgesamt 50 Kulturschaffenden, die den Kulturhof bis kommenden Sonntag auf einer der drei Bühnen (mit Plätzen für 70, 60 und rund 20 Personen) beehren. Zu den weiteren Acts der nächsten Tage gehören unter anderem Komiker Manuel Stahlberger oder Singer-Songwriterin Valerie Koloszar alias Pink Spider. Das Festival an aussergewöhnlicher Lage und Lokation hält dabei, was es auf den ersten Blick verspricht: Die Mischung aus ruraler und gleichzeitig städtischer Umgebung, Kulturanlass mit Kleinkunstprogramm und familiärer Organisation funktioniert bestens.
Einen erfrischenden Auftritt lieferte vorgestern das Trio Les Petits Chanteurs à la Gueule de bois aus Le Locle. Die kleinen Sänger mit dem Kater (so die freie Übersetzung – und damit ist nicht der tierische Begleiter gemeint) überzeugen eine Stunde lang mit grosser musikalischer Bandbreite und viel Humor. Ihr «De Pied en Cap» ist zwar eher Kinder- als Erwachsenenprogramm, reisst letztlich aber alle Anwesenden von ganz klein bis gross mit. Mit Chansonnier-Charme, Rock ’n’ Roll, ein wenig Country und Blues animieren sie auf der mobilen Bühne «Fahrieté» am Ende auch diejenigen, bei denen es mit dem Französisch nicht weit her ist.
Vielleicht könnte man den Start in jenen Abend sinnbildlich für die programmtechnische Vielschichtigkeit des Festivals heranziehen. Die Bandbreite des Angebots überzeugt und spricht allerlei Interessierte an. «Das Publikumsspektrum ist sehr breit, und die Atmosphäre war bisher wunderschön», wie Mitorganisatorin und Kulturhof-Bewohnerin Irene Wespi zu berichten weiss. Sie schaut auf ein fast ausverkauftes Startwochenende zurück und zieht eine positive Zwischenbilanz. Bis auf die eingangs beschriebene Lesung an dem verregneten Mittwoch sind alle Veranstaltungen sehr gut besucht oder gar ausverkauft. Auch für die restlichen Acts gibt es nur noch vereinzelt Tickets. «Jedoch können Interessierte uns gern auch sonst besuchen kommen während des Festivals, sich auch ohne Ticket umschauen und unser Gastroangebot wahrnehmen», so Wespi weiter. Letzteres beinhaltet sogar ein extra für das Festival mit Hopfen vom Hof gebrauten Biers.
Avantgardistisch präsentieren sich später am Abend Silke Strahl und Nils Fischer auf der Indoor-Heubühne. Ihre interdisziplinäre Video-Livemusik-Performance transportiert atmosphärisch dichte Bildkompositionen aus einer Reise nach Italien in einem experimentellen Klangfeld. Das ist vielleicht nicht jedermanns oder -fraus Sache, doch für Fans des Genres ein sinnliches und beinahe meditatives Erlebnis von hoher Qualität.
Ebenfalls ganz besonders war und ist es auch heute Abend ein weiteres Mal (bis Samstag folgen zwei weitere Lesungsabende), Rothenbühler im Takt und Rhythmus des fast schon freien Erzählens zuzuhören. Und das in Dialekt. Pia Frey besucht zusammen mit Franziska Jörg jeden Lesungsabend. Die beiden Luzernerinnen wohnen in der Nähe und schätzen das Angebot des Kulturhofs schon seit längerem. Auch das Sommerfestival hat es ihnen scheinbar angetan. «Der Kulturhof ist ein tolles Projekt - und der Ort so schön für ein Festival», sagt Jörg. Und Pia Frey lobt speziell das Lesungsformat, welches so neu und spannend ist. «Man lernt die Protagonisten des Romans jeden Abend etwas besser kennen, die Figuren nehmen immer mehr Form an.» Auch der Autor ist begeistert, nicht nur vom treuen Publikum, sondern von dem einzigartigen Rahmen im Museggmauerturm: «Ich liebe es!», so Rothenbühler. Wir auch.
Hinweis: Kulturhof Hinter Musegg; Sommerfestival: bis Sonntag, 4. Juli. Programm und Reservation unter www.hinter-musegg.ch/sommerfestival.