Das Kinok würdigt im Januar den italienischen Meisterregisseur Luchino Visconti und zeigt einen Überblick über sein Schaffen mit neorealistischen Dramen und glanzvollen historischen Gesellschaftsbildern wie «Il Gattopardo».
1906 in Mailand in eines der ältesten italienischen Adelsgeschlechter geboren, genoss Luchino Visconti eine umfassende Bildung und ein Leben in Luxus. Er züchtete Pferde, richtete Reitturniere aus und besuchte eine Kavallerieschule. Seine Haltung gegenüber dem Faschismus war zunächst ambivalent. Erst durch eine Reise nach Frankreich in den 1930er-Jahren und den Kontakt mit gesellschaftskritischen Filmemachern wie Jean Renoir und anderen französischen Linksintellektuellen wurde er zunehmend kritischer und entwickelte sich zum Marxisten.
Das Spannungsfeld zwischen seiner aristokratischen Herkunft und dieser politischen Haltung bestimmt auch sein Werk. Wie kein zweiter konnte er mit überwältigender Opulenz eine glanzvolle adelige Welt beschwören, sie gleichzeitig aber auch als dekadent kritisieren und von einem gesellschaftlichen Umbruch träumen.
Nichts deutete freilich in den 1940er-Jahren darauf hin, dass er zu einem Meister grosser historischer Melodramen werden würde, denn am Beginn seiner Karriere standen mit «Ossessione» (1943), für den er James M. Cains Krimi «The Postman Always Rings Twice»ins Po-Delta verlegte und «La terra trema»(1948) schwarz-weisse neorealistische Dramen. Mit dokumentarischer Genauigkeit schildert er in «La terra trema», der mit Laiendarstellern an Originalschauplätzen gedreht wurde, den Alltag sizilianischer Fischer, die von Grosshändlern ausgebeutet werden. Schonungslos erzählt er von Missständen und Unterdrückung und zeichnet minutiös den Abstieg einer Familie nach, überhöht gleichzeitig aber das Geschehen opernhaft. Wie dieses Meisterwerk, das bei seiner Uraufführung ein katastrophaler Misserfolg war, wurden viele Filme Viscontis von der Zensur oder aus kommerziellen Gründen barbarisch gekürzt und erst später wieder zumindest teilweise rekonstruiert. Dieses Schicksal erlitt auch «Il Gattopardo»(1963), der wohl den Höhepunkt in seinem Schaffen darstellt.
Die ganze Ambivalenz des Mailänders steckt in dieser Verfilmung des Romans von Giuseppe Tomasi di Lampedusa. Man spürt Viscontis Sympathie für den sizilianischen Fürsten Don Fabrizio (in der Hauptrolle Burt Lancaster), der ahnt, dass die Macht des Adels mit dem Risorgimento gebrochen wird. «Die Dinge müssen sich ändern, um die gleichen zu bleiben», ist zwar das Motto des alternden Aristokraten, doch gleichzeitig ist er sich bewusst, dass sich die Dinge so ändern werden, dass kein Stein auf dem andern bleiben wird. Hoffnung könnte in diesem grandiosen Gesellschaftspanorama der Sozialismus bringen. Doch dessen Aufflackern wird vom Bürgertum von Anfang an mit manipulierten Wahlen und Hinrichtungen unterbunden. So bleibt dem alternden Fürsten in der unübertroffenen 40-minütigen Ballszene nur ein letzter, schier endloser Tanz mit der jungen Angelica (Claudia Cardinale), doch eine Zukunft wird es für ihn und seine Klasse keine geben.