In Südkorea hat eine Sechsjährige mit Youtube-Videos so viel Geld eingespielt, dass sich die Eltern ein millionenteures Haus kaufen konnten. Das wirft Fragen über die Ausbeutung von Kindern auf sozialen Medien auf.
Sie sieht aus wie ein typisches sechsjähriges Kind, das sich über Glace freut, verrückt nach neuem Spielzeug ist und abends nicht so spät ins Bett will. Vermutlich ist Boram auch genauso. Und doch unterscheidet sich das Mädchen mit dem kurzen Pony und Zahnlücken deutlich von ihren Altersgenossen. Allerdings nicht, weil sie bedeutend reifer, hübscher oder neugieriger als die Anderen wäre. Eher das sehr altersttypische Auftreten ist es, das die junge Südkoreanerin zu einem weltweiten Star gemacht hat.
30 Millionen Abonnenten klicken regelmässig auf einen der zwei Youtube-Kanäle, die ausschliesslich Videos von Boram zeigen. Das Publikum will sehen, wie Boram mal wieder Spielzeug testet, ihren Eltern Streiche spielt oder einfach nur niedlich rüberkommt. Ihr beliebtestes Video – darin schlürft sie Instantnudeln und weckt mit ihrem Lärm zwei Erwachsene, die dann futterneidisch werden – wurde 320 Millionen Mal angesehen.
Wegen des grossen, globalen Interesses lässt sich mit den fünf bis zwölf Minuten langen Uploads, die rüberkommen wie eine Mischung aus entzückenden Katzenvideos und informierenden Vlogs, offenbar eine Menge Geld machen. So kaufen grosse Firmen Produktplatzierungen und schalten Anzeigen vor den Videos, hinzu können externe Werbeverträge kommen. Für die junge Boram ist auf diese Weise so viel Geld zusammengekommen, dass ihre Eltern sich vor kurzem ein fünfstöckiges Haus in einer exklusiven Gegend von Südkoreas Hauptstadt Seoul kaufen konnte. Der Preis hat laut koreanischen Medien acht Millionen US-Dollar betragen.
Die Eltern der Sechsjährigen führen mittlerweile ein Unternehmen, das die Geschicke ihrer Tochter verwaltet und vermarktet. An Borams Beispiel ist in Südkorea eine Diskussion darüber entbrannt, inwiefern Eltern in der digitalisierten Ära mit ihren Kindern Profit machen dürfen. Sollten sie mit dem Reichtum, den ihre Kinder unwissentlich erwirtschaftet haben, millionenschwere Kaufentscheidungen treffen dürfen? Sollten sie ihre Kinder überhaupt vor die Kamera stellen und die Videos dann für das weltweite Publikum hochladen - ohne dass die Kleinen begreifen können, was dies für ihr Leben bedeutet. Und wenn ja, bei welchen Inhalten und welchem Ausmass sollte Schluss sein?
Mitte Juli forderte die grösste südkoreanische Tageszeitung Joongang Ilbo: «Der Schutz der jungen Youtube-Stars ist eine gemeinschaftliche Aufgabe. Wenn Inhalte für Kinder immer beliebter werden, wird deren Sicherheit auch wichtiger.» Vergangene Woche, kurz nach dem wohl einmaligen Häuserkauf durch Borams Eltern, titelte dann der Korea Herald: «Bedenken des Kindesmissbrauchs bei Kinderstars auf Youtube.»
Denn in Südkorea machte Boram schon vor zwei Jahren gross Schlagzeilen. In einem Video schien das Mädchen damals Geld aus dem Portemonnaie ihres Vaters zu stehlen. In einem anderen Clip lenkte sie scheinbar selbst auf der Strasse ein Auto. Die Kinderrechtsorganisation Save The Children beschwerte sich bei der Regierung darüber, dass solche Szenen ein schlechtes Beispiel für zusehende Kinder seien. Später wurden ihre Eltern vom Familiengericht in Seoul dazu verpflichtet, einen Erziehungskurs zu absolvieren, um Kindesmissbrauch vorzubeugen.
Dabei ist Boram kein Einzelfall fragwürdiger Instrumentalisierung von Kindern. In einem koreanischen Youtube-Kanal mit anderen Kindern wurden zuletzt Zwillinge gezeigt, wie sie einen Oktopus essen und sich dabei fast übergeben müssen. Ein anderes vielgeklicktes Video zeigt, wie ein Vater als Gangster verkleidet seiner weinenden Tochter drohte, sie zu entführen. Und selbst wenn die Mehrzahl der auf Youtube hochgeladenen Videos keinen offensichtlichen Kindesmissbrauch zeigt, bleibt die Frage, inwieweit Kinder wirklich zum Gelderwerb der Eltern gemacht werden sollten.
Kinder als Youtube-Geschäftsmodell gibt es aber nicht nur in Südkorea. Der Topverdiener unter den Minderjährigen kommt laut dem Wirtschaftsmagazin Forbes aus den USA. Der siebenjährige Ryan Kaji, der unter dem Namen «Ryan ToysReview» Spielzeugtest macht, hat demnach im Jahr 2018 rund 22 Millionen US-Dollar verdient. Ryan Kaji hat etwas über 20 Millionen Abonnenten.
Das ist rund siebenmal so viel wie die immer noch sehr erfolgreichen fünfjährigen Geschwister Trav und Cor, die ebenfalls aus den USA kommen und auf ihrem gleichnamigen Kanal diverse möglichst niedliche Alltagssituationen zeigen.
Dabei könnten einige solcher Produktionen allmählich schwieriger werden. Da sich die Klagen über Kindervideos mittlerweile mehren und nicht mehr nur Ausbeutung betreffen, sondern auch pädophile Zuschauer anziehen sollen, hat das Management von Youtube reagiert. Bei Videos, die Kinder unter 13 Jahren zeigen, ist nun die Kommentarfunktion ausgeschaltet, zudem dürfen Livestreams von Minderjähriger nur mehr dann übertragen werden, wenn sie von einem Erwachsenen begleitet sind. Zudem soll überlegt werden, Kinderinhalte nur noch auf der Plattform Youtube Kids zu erlauben.
In Südkorea aber steht noch eine weitere Herausforderung bevor. Schon im Dezember letzten Jahres zeigte sich, dass viele Kinder das Leben als mit Youtube-Superstar mit viel Spass und Glamour verbinden. Laut einer Umfrage der Regierung unter Grundschulkindern ist «Youtube-Star» nach Sportler, Lehrer, Arzt und Koch der fünfthäufigste Karrieretraum.
Irgendwer wird den Möchtegernstars noch beibringen müssen, dass Boram bei den vermeintlich spassigen, aber gleichsam bezahlten Spielzeugtests kaum jemals ihre wahre Meinung wird kundtun können. Und dass sie viele Szenen mehrmals aufnehmen muss, bis sie endlich niedlich genug war.