Nicht nur die Berliner Philharmoniker können «Education». Mit zwei Schulklassen und zwei Kompositionsstudenten hat das Sinfonieorchester St. Gallen sechs Monate am «K-Projekt» gearbeitet. Die entstandenen Werke sind morgen zu hören.
ST. GALLEN. Drei Uraufführungen an einem gewöhnlichen Donnerstag, vormittags um zehn – das dürfte auch für die Tonhalle St. Gallen ein absolutes Novum gewesen sein. Im Publikum sitzen Schulkinder zwischen elf und vierzehn, die sonst um diese Zeit auf dem Pausenhof den Kopf auslüften. Die Werke auf dem Programm heissen «SG Variationen», «Traumspiel», «Ein Tag im Europapark». Erst grosses Kino fürs Ohr, dann ein Konzeptstück, schliesslich Programmmusik für Teenager: eine schwungvolle Achterbahnfahrt, mit Bildern wie «Wasserrutsche», «Schiffsschlacht, «Amore im Geisterschloss», «Bolero und Stierkampf». Reines Hörvergnügen!
Die Komponisten: einer mit viel Erfahrung als Dirigent und Studienleiter am Theater – Stéphane Fromageot. Aber auch zwei junge Kompositionsstudenten der Zürcher Hochschule der Künste, aufgewachsen in der Ostschweiz: Lukas Senn und Janos Mijnssen. Mit ihnen zusammen etwa vierzig Primar- und Sekundarschüler aus der Region – die Klasse 6a der Primarschule Schönenwegen sowie die 2 E der Sekundarschule Bruggfeld Sitterdorf. Doch damit nicht genug. Am Pult des Sinfonieorchesters St. Gallen stehen neben Stéphane Fromageot sechs Schülerdirigenten, verteilt im Orchester. Und im Stück «Ein Tag im Europapark» spielt eine Gruppe von Sekundarschülern beim Schlagwerk mit.
All das ist unerhört und auf eine kurze Formel zu bringen: das «K-Projekt». Nicht einfach ein von Musikvermittler Karl Schimke durchdachtes, unterhaltsam moderiertes Konzert für junges Publikum. Sondern ein waghalsiges, zeitintensives Experiment mit tollem Ergebnis. Zu hören ist es noch einmal morgen, als Familienkonzert. Ausgeschrieben war das K-Projekt im vergangenen Jahr; noch vor dem Sommer wurden zwei Schulklassen ausgewählt. Im Herbst begann dann die Arbeit mit regelmässigen Besuchen der beiden Kompositionsstudenten und der Orchesterpaten Stefanie Medeiros und Rüdiger Schwedes in den Klassen.
Sie brachten eine kleine Melodie als Anregung und Muster mit; die hören wir zu Beginn des Konzertes mehrmals, gespielt von den verschiedenen Instrumentenfamilien und in diversen Kombinationen, die man auf Zuruf wünschen kann. Klangfarben wechseln – und damit der Charakter des Themas. Mit solchen Hörerfahrungen haben auch die beiden Kompositionsklassen ihr Projekt begonnen und gemerkt: Zu komponieren heisst, Entscheidungen zu treffen. Es heisst Ideen, Bilder zu sammeln und dazu Klangmaterial. Von dem vieles wieder verworfen wird.
«Der gemeinsame Entscheidungsprozess war für mich neu und für die Schüler eine tolle Erfahrung», sagt Lukas Senn, der mit den Sechstklässlern komponiert hat. «Sie haben gemerkt, dass sie miteinander etwas erschaffen, aktiv gestalten können. Und für ihre Gruppe, für ihr Stück Verantwortung übernehmen». Was das für sie bedeutet, sieht man ihnen an der Uraufführung an. Stolz stehen sie auf der Bühne; es ist ein feierlicher Moment, wenn sie sich als Dirigenten «ihres» Stücks im Orchester aufstellen, wenn sie Einsätze geben, Lautstärken anzeigen.
Für Annina Truniger, Lehrerin der 6a Schönenwegen, war es eine höchst intensive Zeit. Der Musikunterricht im Zeichen des K-Projekts habe sich stark auf das Klassenklima ausgewirkt, sagt sie. «Die Kinder haben sich jeweils auf den Freitag gefreut und sind immer in guter Stimmung von der Arbeit mit Lukas Senn, Stefanie Medeiros oder Karl Schimke zurückgekommen.» So sind sie nicht nur mit klassischer Musik in Berührung gekommen, sondern haben beiläufig gelernt, einander zuzuhören. Sich etwas zuzutrauen. Etwas zu wagen – gemeinsam.
So 22.5., 11 Uhr, Tonhalle St. Gallen