Jauchzende Fugen und stoische Ruhe

ST. GALLEN. Ebenso wie Bachs exzessive, von innen ausgehorchte h-Moll-Messe selbst, beeindruckt, zu welcher musikalischen Grösse Rudolf Lutz das Orchester, Soli und Chor der Bach-Stiftung hinführt.

Drucken

ST. GALLEN. Ebenso wie Bachs exzessive, von innen ausgehorchte h-Moll-Messe selbst, beeindruckt, zu welcher musikalischen Grösse Rudolf Lutz das Orchester, Soli und Chor der Bach-Stiftung hinführt. In der Laurenzenkirche erlebte man am Freitag eine atemberaubende Interpretation, die einen nicht aus dem Staunen liess. So musiziert zeigt sich alles miteinander verwoben und keine Note zu viel. Jeder einzelne Satz ist eine Symphonie, ein Oratorium – eine Oper für sich. Mit den alten Instrumenten, vor allem den Holz- und Blechbläsern, erreicht Rudolf Lutz einen Klang, der dem Vokalen nahe kommt, den Chor diskret kontrapunktiert, stützt oder koloriert.

Seltene musikalische Präzision

Die Soli, hervorragend gesungen von Julia Doyle (Sopran), Alex Potter (Altus), Daniel Johannsen (Tenor) und Klaus Mertens (Bass), erhalten ein zusätzliches Leuchten, das sie über blosse Virtuosität erhebt. So erhalten die klanglich abgestimmten, rhythmisch flinken Phrasierungen grosse Eleganz. Selten hört man in jedem Satz einen so gepflegten Chorklang, selten diese musikalische Präzision in den horrenden Koloraturen, solche dynamischen Abstufungen und Stimmungswechsel. Die exaltierte Frische im swingenden «Qui tollis» und das Feuerwerk im Schlusschor des Gloria wirken wie ein Schock, dann sind sie höchster Genuss!

Fast überirdisch

Sehr selten können einzelne Soloinstrumente nicht ganz durchdringen – das sind jedoch Details einer Aufführung mit unzähligen Perlen: das Sopran-Altus-Duett im Credo, die obertönige Tiefe im «Crucifixus» mit dem stoischen Lamento-Bass und der raffiniert verzögerten harmonischen Rückung am Ende, die zwei Oboen d'amore im Basssolo «Et in Spiritu sanctum», das wunderbar ruhende Adagio im «Confiteor» – und immer wieder das multiple Gespräch zwischen Chor und Orchester in den luftigen Fugen.

Das Agnus Dei wirkt in seiner schlichten Tiefe fast überirdisch (wunderschön gesungen von Alex Potter, Altus). Die hohen Trompeten am Ende des «Dona nobis pacem» wirken nicht triumphal, sondern strahlen vor innerem Glück. Es ist beeindruckend, wie Lutz die Spannung des Klangs in die grosse Architektur hineinträgt und ihr innere Ordnung gibt. Es erinnert an den Satz des Atheisten Cioran, wonach die Musik Bachs als der einzige konkrete Beweis für die Existenz Gottes gehört werden kann.

Charles Uzor