Serie
«Gomorrha» bietet in der letzten Staffel intelligente Mafia-Romantik

Fast endlos und mit hohem Suchtpotenzial: «Gomorrha» bietet ein realistisches Bild der Mafia. Nun ist leider Schluss. Ein Nachruf.

Daniel Fuchs
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Aus Freundschaft wird erbitterte Feindschaft: Ciro (links, gespielt von Marco D’Amore) und Genny (Salvatore Esposito).

Aus Freundschaft wird erbitterte Feindschaft: Ciro (links, gespielt von Marco D’Amore) und Genny (Salvatore Esposito).

Nachrufe beginnen mit einem Toten. Und Tote säumen den Weg dieser Serie, deren Finale nun auch bei uns ins Fernsehen kommt. «Gomorrha» dringt ins Herzen der neapolitanischen Mafia vor, der Camorra.

Der italienische Autor Roberto Saviano lieferte mit seinen Recherchen und Büchern die Grundlage für den Film «Gomorrha» (2008) und ab 2014 für die gleichnamige Serie. Mit der ungeschönten Darstellung will Saviano das Grauen der Mafia handfest machen. Dafür bezahlt er selbst einen hohen Preis und muss im Versteckten leben.

Dabei lieben die Mafiosi «Gomorrha». In süditalienischen Städten war sie stilbildend. Als Napolis Bürgermeister beklagte, Jugendliche würden von der Serie inspiriert auf ihren Motorini durch die Gassen fahren und aus Spass herumballern, entfachte sich eine Debatte um die angebliche Mafiaromantik. Geschichten wie «Gomorrha» nährten letztlich die Anziehungskraft der Mafia, so das Argument. Tatsächlich verschwammen bald die Grenzen zwischen Fiktion und Realität. Einige der Darsteller wurden im wahren Leben zu Kriminellen, und im Mafiakrieg hielten Praktiken aus «Gomorrha» Einzug.

Verharmlosung oder ­Abschreckung?

Die Debatte ist berechtigt, verkennt aber, dass die Ursachen weniger bei Vorbildern aus Film und Serien liegen als in mangelnden Perspektiven der Jugendlichen, insbesondere in den verarmten Vorstädten. Saviano selbst sieht dasselbe Problem anderswo in Europa. In Neapel stosse das Überangebot williger Kindersoldaten einfach auf die Nachfrage seitens der Camorra für den Nachschub.

«Gomorrha» erzählt auch die Geschichte dieser Kindersoldaten, die Drogen verticken und Auftragsmorde ausführen. Eine der beiden Hauptfiguren in diesem Sündenpfuhl (der Titel der Serie ist natürlich eine Anlehnung an das biblische Sodom und Gomorrha) verkörpert diesen Typ des Jungen, der seine Unschuld verliert und im Gegen­satz zu Hunderten von anderen nicht im eigenen Blut im Strassengraben endet. Dieser Fusssoldat der Camorra, Ciro di Marzo (gespielt von Marco D’Amore), trägt den Übernamen «L’Immortale», der Unsterbliche. Ciro überlebte als Baby ein Erdbeben unter Trümmern eines Wohnhauses, daher der Name. Zu Beginn der Serie steht Ciro im Dienst des mächtigen Savastano-Clans, dessen Spross Gennaro, genannt «Genny» (Salvatore Esposito), die zweite Hauptfigur abgibt.

Über weite Teile folgt die Serie dem Duo Ciro und Genny, die sich von Freunden zu erbitterten Feinden entwickeln. Nach dem Tod von Gennys Vater bricht in Neapels Unterwelt ein Krieg aus, die Karten werden neu gemischt. Allianz folgt auf Allianz, Verrat auf Verrat, Vergeltungsschlag auf Vergeltungsschlag. Im Chaos wissen Ciro und Genny sich zu behaupten.Die Serie bleibt eng bei den Clan-Strukturen, den Verstrickungen zwischen Unterwelt und Wirtschaft, Politik und Justiz. Ermittler spielen kaum eine Rolle. Für Autor Saviano steht an erster Stelle, das System der Mafia zu durchschauen. Erst so lasse es sich bekämpfen. Und «Gomorrha» schafft tatsächlich Verständnis für die Psychologie und Funktionsweise der Camorra.

In ihrer Logik gibt es nur eine Regel: einmal mitgegangen, immer mitgefangen. Das gilt nicht nur für die perspektivlosen Kinder und jungen Männer, die für die Bosse die Arbeit erledigen, sondern auch für deren Familien. Die Mafia ist wie eine Spirale, aus der niemand entkommt, nicht einmal die Töchter und Frauen der Bosse.

Toller Spannungsbogen, mittelmässige Schauspieler

Staffel 5 lässt den in Staffel 3 ermordet geglaubten Ciro die Bühne neu betreten. Seine Vorgeschichte erzählt nun, zeitlich passend, der Film «L’Immortale», der sich bestens eignet zum Warten auf Staffel 5.

«Gomorrha» macht süchtig. Das Drehbuch ist zwar weder originell, noch bieten die Figuren besondere Komplexität. Auch kennen einige der Schauspieler nur diese eine Mimik und Körperhaltung: Grimmiger Gesichtsausdruck und leicht gebeugte Beine, als befänden sie sich in einem Western kurz vor einem Duell. Frauen sind mit wenigen Ausnahmen Randfiguren. Doch der Bogen wird immer wieder von neuem gespannt. Dabei bedienen sich die Macher gekonnt wiederkehrender Muster. Süsser wurden Abscheulichkeiten musikalisch wohl noch nie untermalt als bei unseren beiden Hauptfiguren.

Die Fehde zwischen Ciro und Genny nähert sich ihrem Ende. Schade, wir hätten den beiden länger zusehen können. Wenn auch ihr Leben überhaupt nichts Anziehendes hat, aber doch sehr viel verdeutlicht über die Funktionsweise der Mafia.

«Gomorrha», (Staffel 5 ab 30.12.) und «L’Immortale» gibt es bei Sky Show.