In einer Kaverne bei Sargans hat das St. Galler Amt für Kultur eine einmalige Ausstellung eingerichtet. Die eingeladenen Künstler setzen mit verblüffenden Installationen die Gesetze der Aussenwelt ausser Kraft.
Draussen brütende Hitze, drinnen kühle 15 Grad. Die Augen gewöhnen sich langsam an die Dunkelheit im Bauch des Gonzen, wo das Amt für Kultur des Kantons St. Gallen die Ausstellung «Unter Tag» realisiert hat.
Nach dem Kloster Magdenau und dem Wartsaal des Bahnhofs Lichtensteig hat dessen Leiterin Ursula Badrutt mit ihrem Team für die dritte Ausgabe der Reihe Kulturraum S4 einen weiteren Ort an der Bahnlinie S4 aufgespürt, um Kunst in einem ungewöhnlichen Rahmen zu zeigen.
Diesmal ist es die Kaverne der Firma Espros Photonics AG. Sie hat sich spezialisiert auf die Produktion von hochwertigen Halbleiterchips, wie man sie etwa für 3D-Kameras benötigt. Um deren Herstellung unter erschütterungsfreien Bedingungen zu gewährleisten, liess das Unternehmen eine imposante Halle in den Gonzen bauen, die hundert Meter in den Sarganser Hausberg hineinreicht. Bisher wurde sie aber noch nicht in Betrieb genommen.
So wurde es möglich, sie für die Kunst zur Verfügung zu stellen. Die meisten der Werke von dreizehn zum grössten Teil aus dem Kanton St. Gallen stammenden Kunstschaffenden sind aber im angrenzenden, geräumigen Notausgangsstollen zu sehen. Es ist ein Ort, den normalerweise kaum jemand zu Gesicht bekommt.
Einen Eindruck von der hoch spezialisierten Technologie, die in den angrenzenden Labors der Halbleiterfirma entwickelt wird, bekommt man beim Eingang des Stollens, wo eine Treppe zuerst auf Schotterboden, dann auf felsiges, unebenes Terrain führt. Dort sehen sich die Besucher auf einem Bildschirm als schemenhafte Gestalten. Es sind Aufnahmen einer Kamera, die bei selbstfahrenden Autos eingesetzt wird.
Die ältesten künstlerischen Zeugnisse sind aus Höhlen überliefert. Davon inspiriert, hat Nicolò Krättli eine zeitgenössische Höhlenmalerei auf dem Spritzbeton der Kaverne hinterlassen, ausgeführt mit fluoreszierenden Pigmenten. Er verbindet die Urzeit mit der Gegenwart, indem er den Bildschirm eines fiktiven Skypegesprächs darstellt.
Das Steine nicht stumm sind, beweist Komponistin Barblina Meierhans. Sie entlockt ihnen in ihrer Soundinstallation «Steinsengen» poetische Klänge. Seltsame Dinge geschehen unter Tage. Wie Irrlichter tanzen zwei Flammen an der Wand und scheinen miteinander zu kommunizieren. Sie stammen von zwei Kartuschenkerzen. Asi Föcker projiziert sie mit Hilfe von Hohlspiegeln. Die Lichter erinnern an die Lampen der Bergarbeiter, die einst im benachbarten Bergwerk Gonzen Eisenerz abbauten.
Noch seltsamer geht es nebenan zu und her. Wie von Geisterhand bewegt sich ein grosses, weisses Zelt über den Schotterboden – vor und zurück. Das Geheimnis seiner Autonomie behält es für sich – die Motoren in seinen Innern bleiben verborgen. Timo Müllers Installation ist eine Referenz an diesen eigentümlichen Ort un- ter Tage, wo besondere Gesetze gelten.
Etwas ratlos macht die Installation von Matthias Rüegg. In Form einer Welle hat er rund fünfzig Scheiben aus farbigem Glas auf ein Gestell aus verkohltem Holz montiert. Mit der Form einer Woge bezieht sich der aus Mels gebürtige Künstler auf das psychologische Moment der Überflutung, das sowohl mit Glück als auch Schmerz verbunden sein kann.
An der Wand gegenüber wabert und blubbert ein träge fliessender Lavastrom. Die in Hawaii entstandenen Aufnahmen des Filmemachers Peter Mettler entwickeln einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Vom Dokumentar- zum Experimentalfilm kippt es, wenn der Lavastrom sich durch Verdoppelungen und Überblendungen zu einer psychedelischen Landschaft verformt. Bedrohlich und faszinierend zugleich wirkt dies an diesem Ort im Innern des Berges.
Hier, wo die Aussenwelt keine Rolle zu spielen scheint, wird das Unmögliche real. Künstler werden zu Wettermachern: Florian Germann hat eine Absauganlage für Steinhauer zu einer Nebelmaschine umgebaut.
Der Höhepunkt der Ausstellung kommt aber zum Schluss: Ilona Ruegg hat für die 100 Meter lange, 18 Meter breite und 18 Meter hohe Kaverne, die an den Stollen anschliesst, eine Szenerie wie aus einem Science Fiction-Film entwickelt: Zwei in silbernen Hauben gehüllte Autos vollführen auf parallelen Fahrbahnen nach einer ausgeklügelten Choreografie ein verblüffendes Pas de deux.
Während der Ausstellung «Unter Tag» gibt es zahlreiche Veranstaltungen. Sie sind wie der Eintritt kostenlos. Am 9. Juli findet eine Live Performance mit Bild und Ton von Peter Mettler und Freunden statt. Beat De Coi, der Gründer von Espros Photonics, gibt am 12. Juli einen Einblick in seine Firma. Am 18. August liest Jeanne Devos aus dem Märchenbuch von Helen Meier. (gen)