Holly kommt nicht wieder

Nein, Christoph Rüping inszeniert in Zürich nicht Blake Edwards' Film, sondern Truman Capotes Roman «Frühstück bei Tiffany». Und das ist heute oftmals interessanter.

Valeria Heintges
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Auf dem Jahrmarkt der Erinnerungen: Nils Kahnwald als Fred in Truman Capotes «Frühstück bei Tiffany» im Zürcher Schiffbau. (Bild: T+T Fotografie/Toni Suter)

Auf dem Jahrmarkt der Erinnerungen: Nils Kahnwald als Fred in Truman Capotes «Frühstück bei Tiffany» im Zürcher Schiffbau. (Bild: T+T Fotografie/Toni Suter)

Was ist Realität? Kann Kunst sie abbilden? Und wenn ja, welches Genre kann es besser: Der Film, das Theater? Oder die Literatur? Das Thema treibt die Künstler zurzeit um, ganz eindeutig. In den Filmen «Clouds of Sils Maria» von Oliver Assayas und «Birdman» von Alejandro González Iñárritu geht es um die Inszenierung eines Theaterstücks. Christoph Rüping erweitert das Thema in der Box des Zürcher Schiffbaus, indem er mit «Frühstück bei Tiffany» einen Roman ins Theater bringt, den die allermeisten Menschen mit der Hollywood-Verfilmung in Verbindung bringen.

Die aktuellen Filme spielen mit den unterschiedlichen Illusionen, auf denen Film und Theater beruhen, und erweitern das Thema in die Wirklichkeit, indem sie zum einen Schauspieler spielen lassen, deren Biographie sich im Film spiegelt, und indem sie zum anderen Altstars mit dem Nachwuchs konfrontieren.

Rüping hingegen geht einen anderen Weg, zurück zum Original von Truman Capote. Dem romantischen – und heute sehr sentimental – wirkenden Hollywood-Film und seiner zur Ikone gewordenen Audrey Hepburn setzt er den viel realistischeren Roman entgegen, lässt etwa den Schriftsteller Fred und die flattrige Holly Golightly kein Paar werden, sondern Holly aufs Nimmerwiedersehen nach Brasilien entschwinden.

Projektionsfläche für Männer

Zum anderen entlarvt er Holly als Projektionsfläche für Männerphantasien und Hollywood-Kitsch. Nicht eine perfekte, sondern drei höchst traurige, sehnsüchtige, suchende Hollys stellt er auf die Bühne. Und gibt dem Erzähler mehr Raum, der erstmals einen Namen erhält und nicht Fred heisst, weil ihn Holly so nennt. Dieser P. B. Jones reist seinen Erinnerungen an die merkwürdige Frau hinterher, die einmal unter ihm wohnte.

Die Suche führt Fred (sehr wandelbar: Nils Kahnwald) in die Zeit des Zweiten Weltkriegs, auf Jahrmärkte mit Zuckerwattegeruch. Der empfängt auch die Zuschauer, die am Samstag zur Premiere kommen. Dazu Jahrmarktsmusik (vor allem mit einer grandios-vielseitigen Brandy Butler) und auf Ramona Rauchbachs Bühne ein gekipptes Kettenkarussell, marode Autoscooter. Fred erzählt seine Version der Geschichte, Barmann Joe Bell widerspricht. Was stimmt? Wer war Holly wirklich?

Die Macht der Erzählung ist gross, sie wird im Lauf der Zeit das Karussell aufrichten, die Scooter zum Fahren bringen – und die drei Hollys zum Leben erwecken. Die gewitzte, burschikose Holly von Hanna Binder, die mädchenhafte von Magdalena Neuhaus und die reife, abgeklärte von Isabelle Menke.

Die Realität ist stärker

Literatur kann viel, kann beglücken, kann verletzen – und Hollys Bruder Fred im Krieg sterben lassen. Auch die Illusion kann viel, sogar Fred in eine Frau verwandeln, mit langem Haar und Abendkleid. Und sie kann ein Publikum «Somewhere over the rainbow» summen lassen. Aber die Realität ist noch stärker: Holly kommt nicht wieder.