HÖRBAR JAZZ
HÖRBAR JAZZ
Das neue Quartett des Mastermind-Tenorsaxophonisten Mark Turner musiziert mit einer Empathie, die an Telepathie grenzt. Der Bassist Joe Martin und der Schlagzeuger Marcus Gilmore bringen selbst vertrackteste Grooves ins Fliessen und dosieren den Drive zu jedem Zeitpunkt richtig. Turner und der aus Israel stammende Trompeter Avishai Cohen sind elegante Virtuosen, sie bewegen sich souverän zwischen Kontrolle und Intensität, wobei sie miteinander (synchron) genauso überzeugend agieren wie gegeneinander (asynchron). Alles in allem haben wir es mit einer äusserst spannenden Dynamik der Gegensätze zu tun – diese Musik ist gewissermassen heiss und kalt zugleich. Das erste Album dieses exzellenten Quartetts ist nach einem Science-Fiction-Roman benannt und enthält sechs Stücke: Sie stammen aus der Feder Turners, sind für Jazz-Verhältnisse recht elaboriert und entfalten eine ziemlich mysteriöse Grundstimmung von hoher suggestiver Anziehungskraft. Der Sound dieser Band fährt einem nicht in die Glieder, sondern spannt langsam, aber unaufhaltsam ein Netz, aus dem es am Schluss kein Entrinnen mehr gibt.
Mark Turner Quartet, «Lathe of Heaven», ECM
Wer Helene Fischer mag, wird an David Virelles verzweifeln. Während bei Fischer alles klar und hell ist, ist bei Virelles fast nichts klar, fast alles dunkel und geheimnisvoll. Zugespitzt könnte man sagen: Fischer erzeugt Frohsinn ohne Tiefsinn – bei Virelles ist es umgekehrt. Nun soll es ja ein paar Leute geben, die Reissaus nehmen, sobald die deutsche Blondine am Horizont auftaucht und zum Singen ansetzt. Die wären vielleicht beim aus Kuba stammenden Pianisten Virelles an der richtigen Adresse. Er bezeichnet sein neues Album im Untertitel als «Sacred Music for Piano, Two Basses, Drum Set and Biankomeko Abakua». Wer an mysteriöse Rituale denkt, liegt nicht falsch – schliesslich handelt es sich bei den Abakua-Logen um afrokubanische Geheimbünde. Mit den Bassisten Thomas Morgan und Robert Hurst, dem Schlagzeuger Marcus Gilmore und seinem Landsmann Roman Diaz (Perkussion, Gesang) hat Virelles eine Musik geschaffen, die ihn als kubanischen Bartók ausweist, also als Intellektuellen mit einem siebten Sinn für Folklore.
David Virelles, «Mboko», ECM