Sie wanderten aus Süddeutschland ein und stiegen in St. Gallen auf. Ein Buch erzählt die Geschichte jener Familie, mit deren Name lange sogar eine Bank verknüpft war.
In dieser Zeitung erschien am 5. April 2004 ein Artikel von Yvonne Forster, der sich mit dem ehemaligen Rechtsanwalt Andreas Wegelin und seiner Frau Doris beschäftigte. Die beiden lebten damals in einer Altersresidenz, das Gespräch drehte sich ums Altwerden, um den Verzicht auf Besitztümer – und ums Lesen. Denn den Grossteil der Wände nahmen Büchergestelle ein.
An einer der wenigen freien Stellen hing das Porträt des Ururgrossvaters Wegelin, der Gerichtsherr im Schloss Thurberg in Weinfelden war und ebenfalls Andreas hiess. «Gleich unter dem Bild steht eine alte Holztruhe mit dem Familienwappen», berichtete Yvonne Forster. Und weiter: «Darin ist das Familienarchiv versorgt.»
Dieses Familienarchiv in der Holztruhe weckte das Interesse von Rolf E. Kellenberg, der sich als Archivar und freier Autor seit Jahrzehnten mit Genealogie und Heraldik, also mit Abstammungs- und Wappenkunde, beschäftigt. 2012 erhielt er den Auftrag, die Geschichte der 1741 gegründeten Bank Wegelin aufzuarbeiten. «Andreas Wegelin-Winter war erst kürzlich, im Herbst 2011, einige Monate vor seinem 100. Geburtstag verstorben», berichtet er im Vorwort jenes Buches, das er jetzt über die Wegelins verfasst hat und das am Sonntag Vernissage hat. Durch Andreas Wegelins Tochter erhielt er Zugang zum Familienarchiv und zum Archiv jener Stiftung, die seit 1729 notleidende «Fromme, Sparsame und Rechtschaffene» unterstützt – wobei sie auch noch der evangelischen Kirche angehören müssen.
Die Reformation war es möglicherweise, welche Andreas Wegelin-Schegg um 1580 dazu trieb, Ravensburg zu verlassen, wo seine Familie seit 1318 nachgewiesen war. 1586 erschien er vor dem Rat der Stadt St. Gallen, um das Bürgerrecht zu erwerben – wozu er «der evangelischen Religion mit Mund und mit dem Herzen anhängig und gefölgig zu sein» hatte. Auch hohe Gebühren musste er entrichten.
Andreas Wegelin-Schegg war Drechsler und St. Gallen eine blühende Handelsstadt, die ihr Geld im Leinwandhandel machte. In ihr stiegen die Wegelins rasch auf. Sie stellen eine lange Reihe von Theologen, Ärzten und Juristen, besetzen politische Ämter und wählten ihre Ehefrauen aus einflussreichen Familien.
Denn eine Heirat war zu dieser Zeit auch die möglichst lukrative Verbindung zweier Familien. In den Eheverträgen wurden detaillierte Abmachungen über das Finanzielle getroffen. So mehrten die Wegelins über die Jahrhunderte Vermögen und Ruhm und gründeten sogar eine Bank.
Doch war Heimatverbundenheit nicht jedermanns Sache. Der 1721 geborene Jakob Wegelin etwa lernte als Hauslehrer in Bern den berühmten Mediziner, Dichter und Naturforscher Albrecht von Haller kennen, der ihn nach Berlin empfahl, zu Friedrich dem Grossen. Der König lud den Geschichtsphilosophen an seine Tafel in Schloss Sanssouci, darüber hinaus war Jakob Wegelin ein überaus produktiver Schreiber und Publizist.
Seit dem Tod von Andreas Wegelin 2011 lebt kein männliches Mitglied der Familie mehr in der Stadt St. Gallen. Doch ausgestorben sind die Nachkommen seines gleichnamigen Vorfahren aus Ravensburg keineswegs. «Sie leben als Weinbauern, Ingenieure, Journalisten, Bibliothekare und Apotheker in der Schweiz, in Europa und in Nord- und Südamerika», schliesst Rolf E. Kellenberg sein Buch, das die Geschichte mehrerer Jahrhunderte und einer Stadt im Spiegel einer Familie erzählt.
Rolf E. Kellenberg: Die Wegelin, Verlagsgenossenschaft St. Gallen 2016, 152 S., Fr. 32.–. Vernissage: Sonntag, 16 Uhr. Festsaal der Ortsbürgergemeinde, Gallusstr. 14, St. Gallen