Im wunderbaren Befindlichkeits-Drama «Everybody Wants Some!!» lässt Richard Linklater die Achtziger wiederaufleben und beweist, dass Alltag viel spannender sein kann als Ausnahmezustand.
Einfach ist das neue Schwierig im amerikanischen Kino. Hollywood konzentriert sich seit einigen Jahren auf von Spezialeffekten lebende Grossproduktionen mit Superhelden. Es bekundet kaum noch Interesse an Filmen, die «bloss» eine Liebesgeschichte erzählen oder das Leben ganz normaler Menschen spiegeln. Dies musste auch Richard Linklater erfahren. Der Texaner schaffte 1993 mit «Dazed and Confused» den Durchbruch, in dem er das Lebensgefühl von Highschool-Schützlingen in den Siebzigern zum Ausdruck brachte.
Einfache Arbeitsweise
Seinen nächsten Film, den Liebesfilm «Before Sunrise», konnte er für das Studio Columbia drehen. Doch nach 25 Jahren im Sold der Traumfabrik war Schluss: «Before Midnight» und «Boyhood» musste Linklater wieder unabhängig produzieren. Die einfache Arbeitsweise führte ihn auch inhaltlich zurück zu den Wurzeln, die im Indie-Kino liegen, das die Befindlichkeit junger Menschen spiegelt. Sein neuster Wurf, «Everybody Wants Some!!», ist eine Art Fortsetzung von «Dazed and Confused».
Linklater lässt darin seine Erinnerungen an den Beginn des Studiums und die frühen Achtziger aufleben. Sein Alter ego ist der 18-jährige Jake (Blake Renner), der im Spätsommer 1980 an die Universität in San Marcos, Texas, einrückt. Da er Baseball spielt, wird er bei seinen Mitspielern einquartiert, die ihm zu verstehen geben, dass er als Grünschnabel zuerst einmal die Hierarchie zu respektieren hat. Jake wird abgefüllt und mit Klebeband an eine Wand befestigt, wo ihn die Kollegen zur Abhärtung mit Baseball-Bällen torpedieren. Am Abend kurven die Jungs zu lauter Musik durch die Kleinstadt und machen Mädchen an. Ihr Treiben gehorcht keinerlei Drehbuchregeln, die nach Konflikten und emotionalen Höhepunkten verlangen würden. Es ist vielmehr im Rhythmus des alltäglichen Lebens gehalten. Je näher der Ernst des Lebens rückt, desto mehr schlagen die Studenten über die Stränge. Völlig bekifft sinnieren sie einmal darüber, ob Haifische einen Schwanz haben.
Langsam wirkende Filme
Solche Nebensächlichkeiten kostet Linklater in Vignetten aus, in denen die erzählte Zeit der Erzählzeit entspricht. Das mag Zuschauern, die sich die Dramaturgie von Serien gewohnt sind, in denen permanent Wichtiges passiert, als langfädig erscheinen. Linklater dient es jedoch dazu, den Zuschauern ein Gefühl für die verglichen mit heute langsam wirkenden Filme aus den Eighties zu vermitteln. Viel zur Stimmigkeit tragen auch die Ausstattung und der Soundtrack bei, der von The Knack über ZZ Top bis zu Van Halen reicht. Deren Song «Everybody Wants Some!!» gibt der nostalgischen Komödie den Titel – und bringt ihr Lebensgefühl zum Ausdruck: Die jungen Erwachsenen wollen alles – und müssen noch lernen, dass sie es nicht immer bekommen –, wobei die beiden Ausrufezeichen für den Energieüberschuss der Protagonisten stehen, die permanent an Sex denken.
Simpel und berührend
Linklater erzählt konsequent aus der Sicht von Jake. Dies hat den Nachteil, dass viele seiner Studienkollegen kaum Profil gewinnen und Stereotypen bleiben, wie das Phlegma, der Aufschneider usw. Jake hingegen zeichnet Linklater mit feinen Pinselstrichen als Durchschnitts-Typen, der, wie alle Linklater-Helden, ein Romantiker ist. In dem Moment, als Jake sich verliebt, greift Linklater zum einzigen inszenatorischen Kniff in seiner schnörkellos inszenierten Befindlichkeitskomödie: Er zeigt die Turteltäubchen beim Telefonieren im Splitscreen – um zu betonen, dass sich für den Protagonisten eine neue Welt auftut.
«Everybody Wants Some!!» endet gleich simpel und berührend wie «Boyhood»: mit einem zärtlichen Kuss – und der beglückenden Erkenntnis, dass der Zauber des Alltags viel aufregender sein kann, als der ganze Bigger-Than-Life-Bombast, den uns Hollywood um die Ohren schlägt.