«Personal Shopper» von Olivier Assayas ist ein mitreissender Thriller. Hinter der Fassade einer Spukgeschichte verbirgt sich ein vielschichtiger Essay über den Prozess des Trauerns.
«Wenn ich gewusst hätte, wie ausserordentlich talentiert Kristen Stewart ist, hätte ich ihre Rolle in ‹Sils Maria› anders geschrieben», sagte Olivier Assayas am diesjährigen ZFF-Masters, wo er aus seinem Leben als Filmemacher erzählte. In «Personal Shopper», zu dem Stewart ihn inspiriert habe, gibt er seiner Hauptdarstellerin jetzt die Gelegenheit, zu zeigen, was sie alles kann.
Stewart spielt die junge Amerikanerin Maureen, die in Paris als persönliche Einkäuferin des jungen, arroganten deutschen Supermodels Kyra arbeitet. Maureen fährt auf ihrem Motorroller durch die Stadt, behängt mit Taschen von Chanel bis Cartier, die gefüllt sind mit Hunderttausende Euro teuren Kleidern und Schmuck. Sie deponiert die Dinge in Kyras meist leerstehender Wohnung – und widersetzt sich einmal der Regel, die Sachen nicht selber anprobieren zu dürfen.
Das ist die eine Welt, in der Maureen lebt, ohne richtig dazuzugehören. Die andere Welt, zu der sie eine Verbindung hat, ist diejenige der Toten. Am Anfang sieht man Maureen, wie sie nachts durch die leere, heruntergekommene Villa geht, in der sie früher mit ihrer Familie gelebt hat und wo ihr Bruder Lewis vor drei Monaten am gleichen Herzfehler starb, den auch sie hat. Maureen versucht, Kontakt aufzunehmen mit seinem Geist, um ihn zu vertreiben; die Käufer des Hauses fürchten sich vor ihm. Weil die Geschwister einander geschworen hatten, dass derjenige, der zuerst stirbt, dem anderen aus dem Jenseits eine Nachricht schickt, will Maureen in Paris bleiben und auf diese Nachricht warten.
So beschrieben, klingt «Personal Shopper» wie eine trashige Geistergeschichte. Aber hinter der Spukfassade ist dieser hervorragend fotografierte und mitreissende Thriller ein vielschichtig angelegter Essay über den Prozess des Trauerns. Es ist eine Studie über die Einsamkeit dieser Überlebenden, gefangen in der Enge, die ihre obsessive Beschäftigung mit dem toten Bruder verursacht.
Das Übernatürliche habe ihn schon immer fasziniert, sagte Assayas. Was in «Sils Maria» bereits anklang, treibt er jetzt weiter und geht dabei auch formale Wagnisse ein. In einer etwa 20-minütigen Sequenz beantwortet Maureen eine Reihe mysteriöser SMS: Kommen sie von ihrem Bruder Lewis? Einem anderen Geist? Einem Lebenden? Das unbekannte Gegenüber fragt, ob sie jemand anderes sein möchte. Maureen sagt ja, weiss aber nicht wer. Sie wird aufgefordert, sich ihren Ängsten zu stellen. Sie willigt ein.
Olivier Assayas verwebt Close-ups des Handybildschirms mit Bildern einer Reise nach London und zurück, die Maureen für Kyra unternehmen muss. Was zunächst gruselig ist, entwickelt sich mehr und mehr zum Psychogramm einer Frau, die den Boden unter den Füssen verloren hat. Alles, woran sie sich klammern kann, ist dieses Smartphone. Als sie den Schlüssel zu einem Hotelzimmer zugeschickt bekommt, zusammen mit der Notiz, wann sie sich dort einzufinden habe, sieht es so aus, als ob die Welten, zwischen denen Maureen taumelt, miteinander in Berührung kommen könnten.
Obwohl Olivier Assayas linear erzählt, ist die Geschichte aufregend vieldeutig. Kristen Stewart, die in jeder Szene zu sehen ist, trägt den Film auf ihren Schultern, die ausserordentlich zerbrechlich wirken. Andere dürfte eine solche Rolle überfordern, Stewart geht darin auf. Sie nimmt einen mit auf diese Abschiedsreise, in deren Verlauf sie erkennt, dass sie nicht ihren toten Bruder erlösen muss, sondern sich selbst.