Er ist das Chamäleon der Schweizer Fotoszene. Mit Fotoreportagen um Kinderprostituierte in Manila und Greenpeace-Aktionen, aber auch als Fotograf für den Playboy ist Alberto Venzago zur Kultfigur geworden. Seine Fotos sind nun im Museum für Gestaltung in Zürich zu bestaunen
Die ganze Welt in einer Ausstellung, so soll es sein, wenn Alberto Venzago seine erste Show in einem Museum erhält. Die ganze Welt, weniger will er nicht, der Zürcher Autor von Starporträts und Voodoo-Filmen, von Greenpeace-Aktionen, Reportagen mit Bruno Manser auf Borneo, Essays gegen Kinderprostitution auf den Philippinen – und jüngst von Kampagnen gegen Rassismus in der Schweiz.
Er war ein Wilder und ein Zürcher Hippie. Als junger Mensch deckte er sich in den 1970er-Jahren mit Drogen ein (sagt man) – und wanderte aus nach Australien. Dort soll er mit Aborigines gelebt haben. Später taucht er auf – und ist nun Fotograf für «Playboy», in Japan.
Seitdem klebt an ihm das Image des Erotomanen. Alberto Venzago verkörpert in der Fotogeschichte der Schweiz die Position des Liebeskranken. Denn er liebt das Leben und seine Kreaturen wie ein Wahnsinniger. Auch wenn er inzwischen 71 Jahre alt ist, darin bleibt er sich treu.
Von einem Übermass an Liebe für jede Form von Existenz und für das seltsame Kultgebaren der Menschen in allen Ecken der Erde erzählt in Zürich die Ausstellung «Taking Pictures – Making Pictures». Sie ist, wie es sein muss, wenn einer aus einem hochmusikalischen Elternhaus stammt, der Dirigent Mario Venzago ist sein Bruder: Die Ausstellung sprüht vor Dramatik und ist ein opernhaftes Roadmovie. Man wird gewahr, vor seiner Leica hatte er sie alle: Ayatollah Khomeini im Iran, Penelope Cruz in Zürich, die Yakuza, die Mafiosi in Japan – und Voodoo-Priester in Afrika.
Auch sein neustes Werk ist Teil der Show, obwohl jugendfrei ist es nicht. Es ist ein Bilderbuch für Erwachsene und übersteigt an Inhalt und Gewicht jedes gemeine Fotobuch, denn es widmet sich ausschliesslich den erotischen Fantasien seiner Partnerin, der russischen Künstlerin Julia Fokina. Der Part von Venzago ist begrenzt, er spielt in den düsteren Szenerien die Leiche. Und, natürlich, er fotografierte.
«Seduced by the Darkness» heisst das heisse Opus, sorgte an der Art Miami für Erregung und wird in Zürich wohl säuerliche Mienen verursachen. Doch Erfolg ist nicht, was Venzago sucht, er wurde von ihm sozusagen hinterrücks überrascht. Und als er damals nach vier Jahren als nominiertes Mitglied der Agentur Magnum die letzte Weihe doch nicht erhielt, wird auch diese Etappe frustfrei abgehakt. Denn ob mit oder ohne Label, er hat in den 50 Jahren, die er arbeitet, alle wichtigen internationalen Preise für seine Fotografie und für seine Filme gewonnen.
Parteiisch und nicht ganz unbescheiden auf den Punkt bringt diese Leistung der Kollege, der wie Venzago ein Filmemacher und ein Fotograf ist, Wim Wenders:
«Was Alberto Venzago gemacht hat, das hat es noch nicht gegeben, weder im Kino noch in der Fotografie, das ist einmalig.»
Venzago stand für Wenders hinter der Kamera, so für den Film «The Invisibles» (2007), den Javier Bardem produzierte. Das Dokument, erstellt im Auftrag von «Ärzte ohne Grenzen», bringt kongolesische Frauen zum Reden, Opfer von entsetzlichen Verbrechen und Massenvergewaltigungen.
In der Ausstellung kommen auch sie zu Wort. Nüchtern und ohne Selbstmitleid – und szenografisch dezent vom Strom der Neugierigen abgeschirmt. Die Show eingerichtet hat Christian Brändle, und der Umstand, dass der Fotograf und Filmemacher die heiligen Hallen der Kunst betritt, reiht ihn ein in die Ikonengalerie der Grossen.
Und sie macht noch mehr. Sie macht Venzagos Kritiker mundtot. Wenige sind es nicht, nennen ihn das Chamäleon unter den Schweizer Fotografen und werfen ihm vor, seine soziale Sache gegen gutes Geld – von Banken etwa – zu verraten. Doch wie nicht, wenn einer sein eigener Financier und Unternehmer ist?
Im Museum ist Albert Venzago, das steht fest, mehr als richtig. Sein Talent, mit dem er vor den Augen des Publikums seine Leidenschaften inszeniert, hat überragende künstlerische Qualitäten. Venzago ist ein Choreograf von Licht und Menschen. Indem er sie fotografiert, baut er ihnen eine Bühne. Menschenliebe ist der rote Faden durch ein kontroverses Leben und widersprüchliches Werk, in dem Pathos glaubwürdig wird, weil er getränkt ist von einem warmen Blick.
Alberto Venzago: Taking Pictures – Making Pictures, Museum für Gestaltung Zürich, Ausstellungstrasse, 9. Juli bis 2. Januar 2022. In Kooperation des Diogenes-Verlags mit dem Steidl-Verlag ist eine umfangreiche Publikation erschienen.