Kino
Wie «Mary Poppins» von Walt Disney verschaukelt wurde

«Saving Mr. Banks» – der Film über die Entstehung des Disney Klassikers «Mary Poppins – hätte dieses Jahr zum Oscar-Prestigeprojekt des Disney-Studios werden sollen. Doch es kam anders.

Hans Jürg Zinsli
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Die Nervensäge und der Studioboss: P.L. Travers (Emma Thompson) und Walt Disney (Tom Hanks) in «Saving Mr. Banks».François Duhamel/Disney

Die Nervensäge und der Studioboss: P.L. Travers (Emma Thompson) und Walt Disney (Tom Hanks) in «Saving Mr. Banks».François Duhamel/Disney

Lange ists her. Um genau zu sein: 49 Jahre. Damals an der Oscarverleihung 1965 gewann das Disney-Musical «Mary Poppins» fünf Academy Awards. Für Hauptdarstellerin Julie Andrews, die das überirdische Kindermädchen verkörperte, wars der Auftakt zu einer grossen Karriere. Zugleich sollte es das letzte Mal sein, dass ein mit echten Schauspielern besetzter Disney-Film in der Kategorie Bester Film nominiert wurde.

Besserung war erst in Sicht, als das Disney-Studio 2011 von «Saving Mr. Banks» erfuhr, dem von einer australisch-englischen Produktionsfirma geplanten Filmprojekt. «Saving Mr. Banks» stellt das Ringen zwischen Firmengründer Walt Disney und der australisch-englischen «Mary Poppins»-Autorin P.L. Travers bezüglich Verfilmung ihres erfolgreichen Kinderbuches ins Zentrum. Lässt sich der Kreis zum einstigen «Mary Poppins»-Erfolg besser schliessen?

Disney zögerte nicht und sprang als Co-Produzent auf, worauf sich den Parteien eine einmalige Win-win-Situation bot: Die Drehbuchautorinnen Kelly Marcel und Sue Smith erhielten von Disney Zugang zu den originalen Tonbandaufnahmen über die Entwicklung des «Mary Poppins»-Films. Disney wiederum verpflichtete Tom Hanks als Hauptdarsteller und rührte tüchtig die Werbetrommel. Die Oscars schienen in Greifweite.

Nur eine Oscarnomination

Doch jetzt sieht die Bilanz etwas anders aus: «Saving Mr. Banks» erreichte zwar in den USA ein solides Box Office, aber bei den Academy Awards brachte es der Film nur auf eine einzige Oscarnomination (Bester Soundtrack) – eine herbe Niederlage für Disney, die in erster Linie mit den Emotionen im Film zusammenhängt.

«Saving Mr. Banks» von John Lee Hancock («The Blind Side») ist ein Werk, das auf Kulturschock und Kontrast setzt: Da ist einerseits der joviale Studioboss Walt Disney (Tom Hanks), der seinen Kindern verspricht, dass ihr Lieblingsbuch «Mary Poppins» verfilmt werde. Und da ist andererseits die Autorin P.L. Travers (Emma Thompson), die sich in Los Angeles über die angeblich vulgären Umgangsformen entsetzt und bei der Arbeit mit «Poppins»-Drehbuchautor Don DaGradi (Bradley Whitford) sowie den Komponisten Richard und Robert Sherman (Jason Schwartzman, B.J. Novak) vor allem eines tut: nörgeln.

Als das grosse Fiasko droht, kommt Walt Disney die rettende Idee, und das ist eine der stärksten Szenen von «Saving Mr. Banks»: Der Studioboss lädt die Nervensäge zu einer Karussellfahrt im eigenen Disneyland-Vergnügungspark. Noch intimer und berührender wird der Film, wenn Disney nach London fliegt, um die eingeschnappte Autorin mit einem Abriss seiner eigenen schwierigen Kindheit endgültig umzustimmen.

Das Heranwachsen unter widrigen Bedingungen ist in «Saving Mr. Banks» ein zentrales Element – zugleich aber auch eine Schwäche, wenn mit ausschweifenden Rückblenden in die Kindheit der Autorin nicht nur der Filmtitel erklärt, sondern Fiktion mit Realität gleichgesetzt wird. Kommt hinzu, dass «Saving Mr. Banks» wie besessen auf ein Happy End zusteuert, wo die Realität völlig verdreht wird: An der Premiere von «Mary Poppins» sehen wir Travers vor Ergriffenheit weinen. Hat die kratzbürstige Autorin doch ein Herz?

An der Wahrheit vorbei

Verbürgt ist: P.L. Travers fühlte sich von Walt Disney getäuscht und verraten. Anders ist jedenfalls nicht zu erklären, dass die Autorin trotz inständigem Bitten des Studiobosses auf alle Zeiten untersagte, ein «Mary Poppins»-Sequel zu drehen. Kommt hinzu, dass Travers verfügte, dass niemand von der Filmproduktion an der Musicalaufführung von «Mary Poppins» (2004) mitwirken dürfe, insbesondere nicht die Sherman-Brüder, die die Filmmusik komponiert hatten.

So wandelt sich das negative Bild der Autorin radikal: Travers war keineswegs die lästige Filmverhinderin, als die sie in «Saving Mr. Banks» porträtiert wird, sondern eine engagierte Verteidigerin ihres Werkes gegen die drohende Disney-Verniedlichung. Das wiederum hätte natürlich einen ganz anderen Film ergeben. So gesehen erscheint es nur gerecht, dass «Saving Mr. Banks» bei der diesjährigen Oscarverleihung mit Nichtbeachtung bestraft wurde.

Saving Mr. Banks USA/GB/AUS 2013,125 Min. Mit Emma Thompson, Tom Hanks, Colin Farrell u.a.