Drogenkrieg
Wie die Wunderpille Pervitin 1940 die deutsche Wehrmacht wachhielt

Der Frankreich-Feldzug 1940 war ein totaler Sieg der Deutschen. Möglich machte ihn die Weckpille.

Christoph Bopp
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Pervitin, Metamphetamin, die Wunderdroge der Wehrmacht. Sie hielt die Panzertruppen wach und war das Geheimnis hinter dem «Blitzkrieg».
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Wehrmacht war gedopt
«Dunkirk»: Kenneth Branagh spielt den Commander Bolton, den «Pier Master», der das Verladen koordinierte. Sein historisches Vorbild war Commander Clouston.

Pervitin, Metamphetamin, die Wunderdroge der Wehrmacht. Sie hielt die Panzertruppen wach und war das Geheimnis hinter dem «Blitzkrieg».

zvg

Wir Schweizer sind ja eine Armee, und es ist lange her, deshalb können wir unbefangen darüber reden: vom Kriege. Den «Vater von allem» nannte ihn der griechische Philosoph Heraklit. Im Krieg kann alles zunderobsi gehen. Und weil alle Verhältnisse umgekrempelt sind – oder es der Möglichkeit nach wenigstens sein können, diskutiert man oft die Frage: Wer hat woran welchen Anteil? Der General, der den Feldzug plante; der Kommandeur, der im entscheidenden Moment den entscheidenden Entschluss fällt; der Truppenführer, der seine Leute zu einem Überraschungscoup führt; oder gar der einfache «Pinggu», der – sonst eher zum amorphen Kanonenfutter zählend – zum Helden werden kann?

Mit dem Frankreich-Feldzug der deutschen Wehrmacht 1940 gibt es zudem ein Beispiel, wie es schöner nicht sein könnte. Hitler posierte vor dem Eiffelturm, und sein Ego schrieb das alles ihm ganz allein zu. Oder der Generalleutnant und spätere Feldmarschall Erich von Manstein, der unorthodox dachte und mit der Idee, den Hauptstoss nicht im Norden durch Belgien und Holland wie in Weltkrieg I, sondern durch die Ardennen zu führen, im Generalstab dauernd aneckte. Oder die Panzergeneräle Guderian und Rommel, welche mit ihren Blechungetümen einen ganz anderen Krieg führten, als man ihn bisher kannte. Oder dann eben die weitgehend namenlosen Panzerkommandanten, -fahrer und -soldaten, die den atemberaubenden Vormarsch im Rücken des Feindes wirklich durchführten. Hitler und der Wehrmachtsstab waren ohnehin immer den Geschehnissen einen Schritt hinterher.

Blitzkrieg

Kriege werden immer mit dem Denken der letzten begonnen, sagt die Theorie. Für den Frankreich-Feldzug der Wehrmacht 1940 gilt das auch. Der Stellungskrieg von 1914/18 steckte den Militärs noch in den Knochen. Hitler war ja auch dabei – wenn auch meist im Hinterland.

Die Panzer hatten es im Ersten Weltkrieg nicht vermocht, den Krieg wieder aus der Erstarrung zu lösen. Aber für die Unterstützung der Infanterie, die weiterhin die Hauptlast des Kampfes tragen sollte, waren sie natürlich wichtig. Die Deutschen hatten ihre Panzer aus den Infanterie-Einheiten herausgelöst und eigentliche Panzerverbände gebildet.

Mit ihnen gedachte Erich von Manstein den «Sichelschnitt» zu führen. Den Feind im Norden in die Falle locken, durch die Ardennen blitzschnell vorstossen und dann im Hinterland des Feindes nach Norden und Süden schwenken, um möglichst viele feindliche Kräfte einzuschliessen. Dazu brauchte es risikofreudige Panzerführer; eine eigene Logistik der Panzerwaffe; Flugzeuge, welche die Panzerspitzen unterstützten, weil die Artillerie nicht schnell genug war.

Der Frankreich-Feldzug war nicht als «Blitzkrieg» geplant. Aber er entwickelte sich zu einem. Dank Pervitin. Danach lag das Muster klar vor Augen.

Die Antwort könnte durchaus zugunsten des Fussvolks ausfallen. Aber mit rechten Dingen ging es nicht zu. Die Wehrmacht war gedopt. Den Hauptanteil am Erfolg hatten 35 Millionen weisse Pillen, welche die Wehrmacht bei der Chemiefirma Temmler bestellt und geliefert bekommen hatte. Der Feldzug war amphetamingetrieben. Pervitin hiess das Wundermittel, heute bekannt als Partydroge Crystal Meth, der wissenschaftlichere Name: Metamphetamin. «Wenn es sein muss, verlange ich von euch, dass ihr drei Nächte lang nicht schlaft», hatte General Guderian von seinen Panzersoldaten gefordert. Nach Abschluss des Feldzugs konnte er feststellen: «Ich habe 3 Tage verlangt, ihr habt 17 Tage durchgehalten.»

Das war vielleicht etwas übertrieben, aber die Marschleistungen waren enorm. Am 17. Juni 1940 fuhr Rommel mit seinen Panzern 240 Kilometer weit – ein militärischer Weltrekord. Rommel, der gelernte Infanterist, spielte mit seinen Panzern Sturmtrupp: Losfahren, einfach nicht Halt machen, nach links und rechts feuern, wenn nötig auch mitten durch einen feindlichen Verband hindurch. Bevor die verdutzten Franzosen und Engländer sich versahen, waren die deutschen Panzer schon durch.

Durch den Wald zum Kanal

Das Tempo brauchte es. Die französische Armee und das britische Expeditionskorps waren der Wehrmacht zahlenmässig und materialmässig überlegen. Hitler hatte Polen überfallen, aber nicht auf der Rechnung gehabt, dass Frankreich und England ihre Bündnisverpflichtungen erfüllen würden und Deutschland den Krieg erklärten. Während ein Grossteil der Wehrmacht in Polen Krieg führte, hätte ein energischer alliierter Vorstoss im Westen grosse Erfolgschancen gehabt. Aber es war weder ein Plan noch ein Entschluss vorhanden. Und Hitler liess dann – so schnell es ging – die Truppen wieder im Westen aufmarschieren.

Dort passierte aber weiterhin nichts. Hitler wollte zwar Frankreich angreifen, aber seine Generalität war dagegen. Der ursprüngliche Plan sah wie eine Variante von 1914 aus. Ein Vorstoss im Norden über Belgien und Holland, um die stark befestigte Maginot-Linie zu umgehen. Aber eigentlich waren die deutschen Kräfte zu schwach. Der «Fall Gelb» wurde wieder und wieder verschoben. Manstein mit seinem Plan, durch die Ardennen anzugreifen, war zwar immer präsent, aber richtig ernst nahm man ihn nicht. Die hohen Generale – Hitler inklusive – dachten immer noch in Kategorien des Ersten Weltkriegs. Der Kampf würde von der Infanterie geführt, die Panzer dienten lediglich zur Unterstützung.

Ob es wirklich der Unglücksflug des Major Helmut Rheinberger war (die Deutschen verflogen sich und mussten in Mechelen notlanden), durch den Teile des Belgien-Feldzugplans in die Hände der Alliierten fielen, der das Umdenken brachte, ist umstritten. Aber Mansteins Plan gefiel schliesslich auch Hitler immer besser.

Und wurde schliesslich ausgeführt. Die deutschen Panzereinheiten stürmten los, die Franzosen und Engländer waren in Belgien bereits in die Falle gelaufen. Und Frankreich mit seiner stolzen Armee war nach ein paar Wochen geschlagen. Hitlers ominöser «Haltebefehl», der die Panzerspitzen vor Dünkirchen stoppte und das britische Expeditionskorps entschlüpfen liess, verhinderte die totale Katastrophe.

Auch die Führer waren gedopt

Norman Ohler, der den Drogengerüchten der Wehrmacht und des Hitlerreichs nachgegangen ist, präsentiert dafür ebenfalls eine «Drogenerklärung». Der morphinsüchtige Oberbefehlshaber Hermann Göring soll dem Führer euphorisch versprochen haben, er und seine Flieger würden den Rest noch erledigen. Hitler war auf die Generale des Heeres, die ihm dauernd widersprochen hatten, nicht so gut zu sprechen, und gab grünes Licht. Andere erklären, Hitler habe Angst um seine Panzer bekommen, weil ein paar langsame, aber besser gepanzerte und bewaffnete englische Matilda II seine Panzer bedroht hätten. Wie auch immer. Dass er siegte, verdankte er der Chemie. Dass er schliesslich alles verlor, vielleicht auch. Hitler war – das kann man bei Ohler ebenfalls lesen – ein schlimmer Junkie.

Norman Ohler: «Der totale Rausch. Drogen im Dritten Reich». Köln 2015.

Film

«Dunkirk» erzählt von der Operation «Dynamo», der bis dahin grössten militärischen Rettungsaktion der Weltgeschichte, bei der im Frühjahr 1940 fast das gesamte britische Expeditionskorps aus der von deutschen Truppen eingekesselten Stadt Dünkirchen (engl.: Dunkirk) über den Ärmelkanal evakuiert werden konnte. Am Schluss gelang es etwa 85 Prozent des britischen Expeditionskorps, rund 340 000 Mann, nach England zu bringen. Der Film wurde in England positiv aufgenommen, eine Heldenepisode, wenn es auch ein Rückzug war.