«Bohemian Rhapsody»
Misstöne begleiten die Film-Biografie von Freddie Mercury

Starrköpfige Bandmitglieder, ausgetauschte Schauspieler und ein gefeuerter Regisseur. Beim Dreh von «Bohemian Rhapsody» herrschte das Chaos. Jetzt kommt der Streifen in die Kinos.

Marlène von Arx
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Rami Malek als Freddie Mercury: Nach langem Hin und Her erhielt er schliesslich die Hauptrolle.20th Century Fox/New Regency

Rami Malek als Freddie Mercury: Nach langem Hin und Her erhielt er schliesslich die Hauptrolle.20th Century Fox/New Regency

20th Century Fox/New Regency

«Freddie Mercury legt mir seit zehn Jahren Steine in den Weg», seufzt Produzent Graham King beim ersten Footage-Screening von «Bohemian Rhapsody» in Los Angeles. «Immer wenn ich dachte, alle Baustellen seien behoben, lief es woanders aus dem Ruder.» Die Umsetzung des Films über den 1991 verstorbenen Queen-Frontmann war tatsächlich eine Odyssee: Die Probleme fingen bereits mit den Vorstellungen von Queen-Gitarrist Brian May und Schlagzeuger Roger Taylor (Bassist John Deakon hat sich von Queen zurückgezogen) und Manager Jim Beach an. King musste den Consultants und Co-Produzenten wiederholt erklären, dass «Bohemian Rhapsody» kein Dokumentarfilm sein und nicht jeder Queen-Hit chronologisch abgehandelt werden würde.

Damals arbeitete King am Oscar-gekrönten Film «Argo» über Undercover-Agenten, die als Film-Crew getarnt während des Geiseldramas 1979 in Teheran sechs Amerikaner befreiten. «Ich zeigte May eine frühe Rohfassung des Films. Und dann erzählte ich ihm, wie sich das Ganze tatsächlich abgespielt hatte. Mit anderen Worten: Wir machen einen Film fürs Kino, keinen Dokumentar-Film. Davon gibt es ja schon ganz tolle über Queen, wie beispielsweise ‹The Great Pretender›.»

Hauptdarsteller sprang ab

Während Graham King mit Drehbuchautor Peter Morgan («The Queen») am Script feilte, machte Sacha Baron Cohen, der 2010 für die Hauptrolle vorgesehen war, seinerseits Druck. «Ich habe mit Sacha ‹Hugo› gedreht und wusste, wie leidenschaftlich gerne er Freddie Mercury gespielt hätte», erinnert sich King. «Aber er wollte einen Vertrag und damals hatten wir noch kein verfilmbares Drehbuch und keinen Regisseur. Ich engagiere keine Schauspieler, wenn das Drehbuch nicht fertig ist und wir keinen Regisseur haben.» Cohen sagte damals, er sei ausgestiegen, weil May und Taylor eine familienfreundliche, die Queen-Marke schützende, sauber polierte Biografie vorschwebte, in der Mercury bereits in der Mitte des Films gestorben wäre. Und diese Geschichte sei einfach zu langweilig. May konterte, Komiker Cohen hätte Mercury nur ins Lächerliche gezogen.

Nach Cohens Ausstieg kam 2013 Johnny Depp kurz ins Gespräch, den Sänger mit der einmaligen Stimme zu spielen. Kurz darauf vermeldete Roger Taylor auf BBC, die Band wolle Ben Whi- shaw, der mit Keith Richards in «Stoned» und Bob Dylan in «I’m Not There» bereits Rockstar-Rollen vorweisen konnte. Dexter Fletcher («Eddie the Eagle») sollte die Regie übernehmen. Auch diese Inkarnation kam ins Stocken und Fletcher verabschiedete sich wegen «kreativer Differenzen».

2015 wurde Anthony McCarten («Theory of Everything») engagiert, um das Script zu überarbeiten. Ende 2016 kommen «X-Men»-Regisseur Bryan Singer und Schauspieler Rami Malek, der sich mit der Kult-Serie «Mr. Robot» einen Namen gemacht hatte, an Bord. Bis Malek aber einen unterschriebenen Vertrag in der Tasche hatte, dauerte es wiederum mehrere Monate. Der amerikanische Schauspieler mit ägyptischen Wurzeln engagierte einen Bewegungs-Coach, um Mercurys Bühnenpräsenz zu verinnerlichen und flog auf eigene Kosten nach London: «Ich hoffte, ich könnte die Spesen eines Tages verrechnen. Ich wollte einfach so gut wie möglich vorbereitet sein, sollte ich den Zuschlag bekommen», sagt der 37-Jährige.

Die Dreharbeiten begannen schliesslich im Herbst 2017 in London. Neue Probleme liessen nicht lange auf sich warten: Singer war öfters abwesend, so- dass der Kameramann Newton Thomas Sigel bisweilen als Regisseur einspringen musste. Und wenn Singer da war, sollen auf dem Set mehr als nur die Fetzen geflogen sein. Tom Hollander, der den Queen-Manager Jim Beach verkörpert, warf wegen Singers Unprofessionalität zwischenzeitlich das Handtuch und Malek beschwerte sich über das Verhalten des Regisseurs beim produzierenden Filmstudio 20th Century Fox. Nach den Thanksgiving-Feiertagen Ende November wollten sich aber alle wieder zusammenraufen.

Am 1. Dezember dann der Eklat: Fox feuerte Bryan Singer wegen «unerwarteter Unabkömmlichkeit». «Ich mag Bryan Singer, er ist sehr intelligent. Aber leider hat er viel um die Ohren in seinem Leben», so Graham King. «Seine Mutter war im Spital in New York und er musste sich um einiges kümmern. Er wollte bis nach Weihnachten eine Pause einlegen.»

Von der #MeToo-Welle erfasst

Zu diesem Zeitpunkt erfasste Singer auch die #MeToo-Welle: Er wurde des sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Jungen bezichtigt. Diese Anschuldigungen wies er vehement zurück. Dass er gefeuert wurde, erklärte er in einem Statement mit der Herzlosigkeit des Studios: «Rami und ich hatten unsere Differenzen beigelegt, und ich wollte den Film fertigdrehen. Aber Fox hat das nicht erlaubt, da ich vorübergehend meine Gesundheit und die meiner Familie an erste Stelle setzen musste.»

Graham King erklärt den Entschluss des Studios so: «Wenn man mal das Momentum bei einem Film hat, ist es schwierig zu unterbrechen. Man kann von den Schauspielern nicht erwarten, ihre verinnerlichten Rollen auf Eis zu legen und dann in einem Monat wieder abzurufen. Ich habe das mit dem Studio diskutiert und von ihnen kam deutlich zurück, dass eine Pause nicht infrage kam.» Schliesslich sprang Dexter Fletcher für die übrig gebliebenen sechzehn Drehtage ein.

Rami Malek, der seine erste grosse Filmrolle spielt, bestand die Herausforderungen des anspruchsvollen Drehs und ist mit dem Resultat zufrieden: «Dieser Film hat einen Mann aus mir gemacht», fasst er die Erfahrung tief durchatmend für sich zusammen. «Ich bin stolz auf mich, wie ich mich durch all die tumultösen Zeiten verhalten habe. Da ich so gut vorbereitet war, wusste ich, was ich zu tun hatte und wenn ich nicht mehr weiterwusste, fragte ich mich, was Freddie jetzt machen würde. Das half mir durch die schlimmste Zeit.»

«Bohemian Rhapsody» ist das Tohuwabohu hinter den Kulissen nicht wirklich anzumerken: Der Film funktioniert als Band-Geschichte mit einer besonders schillernden Figur im Zentrum, einfühlsam gespielt (und teilweise mitgesungen) von Rami Malek. Als Regisseur wird Bryan Singer allein aufgeführt. Dexter Fletcher wird seinen Rockstar-Ruhm nächstes Jahr ernten dürfen: Mit seiner Elton-John-Biografie «Rocketman».

Bohemian Rhapsody (USA/UK, 2018). 134 Min. Regie: Bryan Singer. Mit Rami Malek, Gwilym Lee, Ben Hardy, Lucy Boynton u. a. ****

Queen reloaded

«Bohemian Rhapsody» erzählt die Geschichte der Rock-Band Queen ab 1970, als Freddie Mercury (Rami Malek) sich Gitarrist Brian May (Gwilym Lee) und Schlagzeuger Roger Taylor (Ben Hardy) anschliesst, bis zum grandiosen Auftritt am Live Aid Benefiz-Konzert im Wembley Stadion 1985. Im Zentrum steht Mercury, der ursprünglich Farrokh Bulsara hiess und Sohn persischer Immigranten war. Rami Malek wächst buchstäblich über sich hinaus, die Essenz des Showbiz-Paradies-Vogels mit dem Überbiss einzufangen, während ein Mix aus Original-Freddie, Tribut-Band-Sänger Marc Martel und Malek für die vier Oktaven umfassende Stimme sorgt. Mercurys wilde Party-Seite, Homosexualität und Aids-Diagnose (obwohl die in Wahrheit erst nach Live Aid kam) werden sanft angesprochen, ebenso die langjährige Beziehung zu Mary Austin (Lucy Boynton). Aber der Film will nicht zu traurig werden, sondern vielmehr den Queen-Musik-Katalog einer neuen Generation schmackhaft machen. Darauf hin weist auch die Cameo von Mike Myers als Label-Verantwortlicher, der nicht an die Radiotauglichkeit der sechsminütigen Single «Bohemian Rhapsody» glaubt. Myers sorgte nämlich Anfang der neunziger Jahre mit dem Sketch und der Komödie «Wayne’s World» mit dafür, dass der epische Song nochmals in die Hitparaden kam. Der Rest, wie man so schön sagt, ist Musik-Geschichte.