Der Däne Mads Mikkelsen zeigt sich in «Men & Chicken» von seiner lustigsten und hässlichsten Seite. Im Interview spricht er über die Freiheiten, die er im dänischen Kino geniesst, und über seine Verehrung von Buster Keaton.
Er sitzt am Pokertisch und weint eine Träne aus Blut. Die Rolle als James Bonds Gegenspieler Le Chiffre in «Casino Royale» (2006) machte den Dänen Mads Mikkelsen (49) weltberühmt. Neben seinen Kinoauftritten begeistert der charismatische Schauspieler aktuell in der US-amerikanischen Fernsehserie «Hannibal». Wir treffen Mikkelsen zum Gespräch über seinen neuen Kinofilm «Men & Chicken» – wenige Tage nachdem bekannt wurde, dass der TV-Sender NBC «Hannibal» dieses Jahr einstellt.
Mads Mikkelsen: Ich ahnte, dass dieser Moment kommen würde. Es ist kein Geheimnis, dass unsere Einschaltquoten knapp an der Grenze waren. Eigentlich war ich überrascht, dass NBC den Mut hatte, die Serie drei Jahre lang laufen zu lassen.
Dies ist die Geschichte von ein paar Brüdern, denen Mutter Natur ein ziemlich schlechtes Blatt in die Hand gedrückt hat.» Der erste Satz in «Men & Chicken» stellt die Weichen für den wohl skurrilsten Kinofilm des Sommers. Er handelt von Elias (Mads Mikkelsen) und Gabriel (David Dencik), die nach dem Tod ihres Vaters erfahren, dass er gar nicht ihr leiblicher Vater war. Auf der Suche nach ihren Wurzeln finden sie drei weitere Brüder, die in einer heruntergekommenen Villa irgendwo in der Pampa inmitten von Tieren hausen. Die fünf Männer verbindet ihre kindliche Streitsucht, ihre entstellten Gesichter – und das dunkle Geheimnis ihres Vaters.
Zehn Jahre nach seinem Meisterwerk «Adams Äpfel» legt der dänische Regisseur und Drehbuchautor Anders Thomas Jensen (43) endlich mit einer neuen schwarzen Komödie nach. Mit «Men & Chicken» erschafft er wieder ein einzigartiges Filmuniversum, das er mit Menschen, Tieren und allerlei dazwischen bevölkert hat. Jensen zeigt eine Ausseinseiterfamilie am Rande des Wahnsinns und findet selbst in den absurdesten Momenten Warmherzigkeit und Poesie. «Men & Chicken» ist ein herrlich schräger Mix aus Slapstick, Horrorfilm, und griechischer Tragödie. Mit den Stars des dänischen Kinos – und mit einem brillanten Hauptdarsteller Mads Mikkelsen, wie man ihn ganz bestimmt noch nie gesehen hat. (lor)
Men & Chicken (DK/D 2015) 104 Min. Regie: Anders Thomas Jensen. Ab Donnerstag im Kino.
Ich möchte mir keine falschen Hoffnungen machen. Ich stelle mich darauf ein, dass die Serie zu Ende ist. Doch es würde mich freuen, wenn Netflix oder ein anderer Sender «Hannibal» ein neues Zuhause geben würde. Wir stehen bereit.
Wegen Regisseur Thomas Anders Jensen. Niemand auf der Welt macht Filme wie er. Er erschafft poetische Geschichten, die grosse Fragen stellen: über Leben und Tod, über unseren Ursprung, über Gott und die Hölle. Und er packt das in eine Hülle aus Wahnsinn.
Viel! (lacht) Meine Figur in «Men & Chicken» ist stur, was sein Aussehen betrifft. Der Schnauz, das krause Haar, die lächerlichen Klamotten: Er ist in den Achtzigerjahren steckengeblieben!
Ich liebe Buster Keaton! Aber eigentlich versuche ich nie, andere Schauspieler zu imitieren. Keaton kann man gar nicht imitieren. Wie er mit seiner Physis umgeht, seinem Gesicht ... Er erzählte präzise Geschichten, ohne ein Wort zu sagen. Er verwandelte das Absurde in Poesie.
Sie sind wie Kinder im Körper eines Erwachsenen. Wenn es um wissenschaftliche Dinge geht, sind sie extrem intelligent. Aber ihre Sozialkompetenz ist auf dem Level eines Fünfjährigen. Die Brüder können Dante diskutieren und sich in der nächsten Sekunde mit Kochtöpfen verkloppen – das ist für sie völlig normal. (lacht)
Ganz genau. In den Vierziger- und Fünfzigerjahren gab es in Dänemark nur romantische Komödien und schön ausgestattete Dramen auf dem Land. Die Wiesen waren grün, die Sonne schien, das Korn war kräftig. Anders liebt dieses idyllische Universum – weil sie so absurd ist.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war es wichtig, dass alles hell, fröhlich und süss ist.
Genau. Für meine Filmfigur ist nur eines wichtig: Dass sein ältester Bruder ihn akzeptiert. Niemand mag ihn. Aber gerade seine Kindlichkeit macht ihn für den Zuschauer sympathisch. Wir erkennen darin vielleicht nicht uns selbst, aber Freunde oder Familienmitglieder, die beim Streiten auch stur wie ein Kind sind. (lacht)
Ja, der Film spielt mit Versatzstücken des Horrors. Jensen geht in seinen Filmen oft an ganz düstere Orte. Das ist sein Stil. Wir Schauspieler können bei ihm Dinge tun, die sonst nicht gehen.
Als Schauspieler kannst du nie zu weit gehen. Ich nehme meine Arbeit nach Drehschluss ja nicht mit nach Hause. Sonst wäre etwas falsch. Dann hätte ich keine Kontrolle mehr über meine Figuren, sondern sie hätten die Kontrolle über mich.
Method Acting ist doch nur ein Vorwand, um sich zu betrinken! Wenn eine Filmfigur traurig ist, muss es dafür auch einen Grund geben. Wenn du improvisierst, ist ständig ein Drang da, besonders emotional zu sein und Dinge zu erfinden. Aber das brauchst du gar nicht, um Emotionen beim Publikum auszulösen.
Gute Frage. Produzenten müssen immer ans Geld denken. Also setzen sie immer auf Dinge wie Autoverfolgungen und halbnackte Frauen. Aber bei uns gab es eine Generation von Filmemachern, die das Kino verändern wollten. Sie machten kleine, persönliche Filme. Und merkten plötzlich: Auch diese Filme haben ja ein Publikum! Es ist also schon möglich, persönliche Filme zu machen, die Geld einspielen. Aber es braucht diesen mutigen ersten Schritt, jemand, der sagt: So will ich das machen.