Einen Porno wolle er drehen, hatter der dänische Regisseur Lars von Trier angekündigt. Nun liegt der Film vor. In «Nymphomaniac» geht es tatsächlich um Sex. Doch mit Liebe und Lust hat das beim Dänen nichts zu tun. Es geht um Schuld und Sucht.
Einen Porno werde er drehen, der das Sexleben einer Frau von der Kindheit bis ins Alter abhandle. Für viel Aufsehen sorgte diese Ankündigung Lars von Triers vor ein paar Jahren nicht – denn sie erfolgte zeitgleich mit einem verunglückten Nazischerz aus seinem Mund, der medial weit höhere Wellen schlug.
Generell war die Verbindung von Triers mit Pornografie nicht neu: Schliesslich hatte er sich bereits ab den Neunzigern über seine Produktionsfirma Zentropa an der Herstellung von drei Hardcorestreifen beteiligt. Und in seinem eigenen Film «Antichrist» hatte er dem Publikum bereits eine der exzessivsten Gruselsexszenen der Arthouse-Filmgeschichte zugemutet – da schien wenig Luft nach oben für weitere Provokationen.
Jetzt hat von Trier sein jüngstes Vorhaben umgesetzt, und die Eklats sind trotz einer langen Kampagne vor dem Filmstart ausgeblieben. Niemand hat sich über die Drehbedingungen beschwert, und für den Sex waren zum Teil Doubles aus der Pornobranche im Einsatz.
Dem hiesigen Publikum wird auch gar nicht der explizite «Director’s Cut» von «Nymphomaniac» gezeigt, sondern eine zweigeteilte, gekürzte Fassung, von der sich von Trier zwar halbherzig distanziert, die er aber im Hinblick auf die spätere Mehrfachverwertung zweifellos mitverantwortet.
Ein Dialog, viele Geständnisse
Eine wirkliche Überraschung wäre es gewesen, wenn von Trier anlässlich dieses Mammutprojekts seine hinlänglich bekannte Einstellung zum Thema Geschlechtsverkehr geändert hätte und gar auf die lustvollen Seiten der Sexualität zu sprechen gekommen wäre. Doch davon ist nichts zu spüren: Sex ist bei von Trier weiterhin gekoppelt an Kontrollverlust, an Schuld, an Leere und diesmal besonders deutlich an Sucht. Aber nicht an Liebe.
In den ersten Einstellungen des Films entdecken wir Charlotte Gainsbourg, wie sie zusammengeschlagen und leblos in einer nächtlichen Strasse liegt. Ihre Figur – sie heisst Joe – hat also bereits den Preis bezahlt, den ein ausschweifendes Sexleben im Universum von Triers mit sich bringt. Sie wird gefunden von einem älteren Herrn (Stellan Skarsgård), der sie in seiner Wohnung unterbringt und ihr zuhört. In acht Kapiteln erzählt Joe aus ihrem klitorisbestimmten Leben, von physischer Ekstase und emotionalen Tiefschlägen.
Das Schlüsselwort im vorhergehenden Satz ist «erzählt». Joe ist weit mehr als nur eine Märtyrerinnenfigur, wie sie von Trier längst zu seinem Markenzeichen gemacht hat. Sie ist eine geschickte Erzählerin, die vermutlich einen grossen Teil dessen, was sie Seligman erzählt, frei erfindet.
Eigene Ohnmachtsgefühle
Man hat es bereits früher herausgespürt, aber diesmal ist es klar: Von Trier spricht persönlich durch seine gequälten Frauenfiguren, er erzählt von seinen eigenen Ohnmachtsgefühlen. Was man ihm lange als Misogynie (Frauenhass) angekreidet hat, ist wohl eine Art Therapie gegen Selbsthass. Und diese Therapie scheint zu wirken: Schon lange hat man den dänischen Bürgerschreck nicht mehr so verspielt und so experimentierfreudig erlebt wie hier. Jetzt fehlt nur noch die Lebensfreude. Und vielleicht – aufs Alter – die Freude am Sex.
Nymphomaniac (DK/D/F/BE 2013) 44 Min. Regie: Lars von Trier. Ab Donnerstag im Kino.