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Heute jugendlich, morgen erwachsen: Wie es dem Film «Sami, Joe und ich» gelingt, die Welt von Teenagern glaubhaft rüberzubringen.
Selbst entscheiden ist jetzt angesagt: Mit diesen Worten verabschiedet die Lehrerin ihre Schülerinnen und Schüler der letzten Klasse in die Sommerferien. Sami, Joe und Leyla freuen sich, es krachen zu lassen, ehe der Ernst des Lebens sie einholen wird. Ausgerechnet die Lehrerin, für deren Ratschläge die Teenager bloss ein freundliches Lächeln übrig haben, wird in diesem Film eine von ganz wenigen erwachsenen Personen mit etwas Empathie sein.
«Arschlöcher», schnauzt eine ältere Frau die drei herumalbernden Mädchen nach der Schule an. Die Szene ist bezeichnend. Eltern oder Chefs, sie geben im Coming-of-Age-Drama «Sami, Joe und ich» von Karin Heberlein ein tristes Bild ab. «Voll traurig», sagt denn auch Joe zu ihrem Vorgesetzten, ehe dieser sie in die Falle treiben und sich als wahres Arschloch entpuppen wird.
Da die überforderte alleinerziehende Mutter von Joe, die ihrer Tochter zu Hause viel zu viel aufbürdet, hier der Vater von Sami, ein kriegstraumatisierter Kontrollfreak, der seiner Tochter allen Raum zur Selbstentfaltung nimmt: Unsere Hauptfiguren haben es nicht leicht im Sommer, von dem sie sich eigentlich die ultimative Freiheit versprochen haben.
Für die Wiedereröffnung der Kinos hat «Sami, Joe und ich» mehr Zuschauer verdient, als wegen der Einschränkungen derzeit Einlass ins Kino erhalten. Am Filmfestival in Zürich letzten Herbst erhielt der Film den Publikumspreis.
Der Film richtet sich überhaupt nicht bloss an die Jugendlichen selbst. Mit seinem ruhigen Schnitt und dem tragenden Soundtrack spricht er Erwachsene ebenso an. Heberlein, die sowohl das Drehbuch schrieb wie auch Regie führte, äussert sich im Gespräch so:
«Auch jene, deren Leben sich weit weg von der Realität der drei jungen Frauen befindet, sollen sich in diese reinversetzen können.»
Empathie mit Teenagern ist ihr wichtig. Kein Zweifel: Heberleins Film erfüllt diesen Anspruch.
Die Erlebnisse von Sami, Joe und Leyla entsprechen realistischen Vorgängen, denen Teenager ausgesetzt sind. Inspiriert wurde Heberlein vor allem durch Erzählungen von Teenagern, mit denen sie immer wieder in Jugendprojekten zusammengearbeitet hatte.
Die Themen sind universell. Es geht um die Achterbahnfahrt der Gefühle, um Momente des Triumphierens und um solche des Trübsalblasens. Es geht um Verführung, für die man in schwierigen Situationen empfänglich sein kann. Es geht um Verletzlichkeit. Und um die Suche nach der eigenen Rolle im Leben. Und was abgedroschen klingt, hat schon was: Erwachsenwerden hat viel mit Ausprobieren und sich Irren zu tun. Darüber erzählt dieser Film.
Wie aber realisiert man als Erwachsene einen Film mit und über Teenager, ohne dass diese protestieren müssen «so sind wir doch nicht!»? Heberlein: «Indem man versucht, deren Geschichten nicht von aussen, sondern von innen heraus zu erzählen.» Sie betont, Jugendliche im gesamten Prozess miteinbezogen zu haben.
«Von der Idee über die Entstehung des Buchs bis hin zu den Kostümen haben wir immer wieder Jugendliche beigezogen, sie um ihre Meinung gefragt und ihre Inputs einfliessen lassen.»
Ein aufwendiger Prozess, der sich im Fall von «Sami, Joe und ich» gelohnt hat. Die Freundschaft der drei jungen Frauen wird arg strapaziert, doch sie wissen sich zu helfen. «Jetzt ist selber entscheiden angesagt», riet die Lehrerin. Sami, Joe und Leyla nehmen das Heft in die Hand, auch mal mit einem solch brachialen Mittel wie einem Abflussrohr.
Die Darstellerinnen übrigens sind eine Entdeckung von Karin Heberlein. Sie fand sie am Glacestand, im Sportclub, im Jugendtheater. Dort, wo Teenager eben ihre Zeit verbringen.
«Sami, Joe und ich» (CH 2020, 94 Min.); R: Karin Heberlein. Ab dieser Woche im Kino.