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Seit einem halben Jahr leitet Stefano Semeria die Abteilung Unterhaltung von Schweizer Radio und Fernsehen. Der 52-jährige Deutsche spricht über Michael Elsener, die neue Sendung von Susanne Kunz und erklärt, warum er sich vor Netflix nicht fürchtet.
Kaum hatte er die neue Stelle angetreten, befand er sich im Auge des Orkans. Stefano Semeria stelle die grossen Fernseh-Stars wie Roman Kilchsperger und Kurt Aeschbacher kalt. Und ja, nicht mal jassen könne er. Der Sturm hat sich verzogen. Aber die Herausforderungen sind geblieben. Semeria muss mit deutlich kleinerem Budget als seine Vorgänger ein fesselndes Programm produzieren.
Stefano Semeria: Sehr gut.
Nun, er hat den Druck ausgehalten. Das muss man als junger Comedian erst mal hinkriegen. Ich habe die Kritiken gelesen. Und natürlich gibt es noch Luft nach oben. Aber wir haben nie gesagt, Elsener müsse die Nachfolge von Giacobbo/Müller antreten. Elsener bringt eine Farbe rein, die wir einige Zeit nicht mehr auf dem Sender hatten – und er setzt sie in seiner ganz eigenen Form um. Es war ein solider bis guter Start. Auch mit der Themenwahl bin ich sehr zufrieden.
Für mich sind das zwei Ebenen. Die eine: Wie gut kennt man ein Land, um beurteilen zu können, was die Unterhaltungsformen und wer die wichtigsten Persönlichkeiten in diesem Sektor sind? Das ist ein Feld, wo ich Defizite habe. Schliesslich bin ich nicht durch das Schweizer Fernsehen sozialisiert worden. Die andere Ebene: In wie weit ist die erste Ebene wichtig für meine tägliche Arbeit? In meinem Job ist nicht nur wichtig, den kulturellen Hintergrund zu kennen. Sondern ich muss auch wissen, wie sich Medien verändern – wo es hingeht. Ich habe mich mit dieser Frage viele Jahre sehr intensiv auseinandergesetzt. Dieses Feld ist nicht länderspezifisch.
Die Schlagzeilen sind das eine. Die Haltung das andere. Roman Kilchsperger hat mit dem Wechsel zu Teleclub selbst den Schritt gemacht. Wir hätten sowieso eine Nachfolge suchen müssen. Jetzt haben wir den Wechsel ein Jahr früher vollzogen. Bei Aeschbacher war definiert, dass es ein Ende gibt. Einzig wegen Sparmassnahmen wurde das Ende um ein halbes Jahr vorgezogen.
Nein.
Dass Netflix und andere die Aufmerksamkeit von uns weglenken können, ist gar keine Frage.
Wenn es darum geht, ein junges Publikum, das per se weniger TV konsumiert, mit klassischen Sendungen wieder vor den Fernseher zu holen: Das wird nicht funktionieren. Aber ich habe andere Kanäle, um das junge Publikum zu gewinnen.
Seit dem 1. August 2018 heisst der Unterhaltungschef von SRF Stefano Semeria. Der 52-jährige Deutsche mit Wurzeln in Ligurien arbeitet seit 2011 für Schweizer Radio und Fernsehen. Zunächst als Programmleiter TV, später als Leiter «Junge Zielgruppen». Aufgewachsen ist Semeria in der Nähe von Dortmund. Semeria, Vater von zwei schulpflichtigen Kindern, hat an der Filmuniversität Potsdam-Babelsberg Medienwissenschaften studiert. Vor seinem Wechsel in die Schweiz war er unter anderem Programmplaner bei der ARD. (fsc)
Das will ich nicht prognostizieren. Vielleicht gibt es in zehn Jahren Senderformen, die wir heute noch gar nicht kennen. Vielleicht gibt es Sender- und Demandplattformen, die koexistieren und sich gegenseitig alimentieren. Es gibt Leute, die behaupten, in zehn Jahren ist das Fernsehen tot. Aber ich halte dagegen: Denn eine älter werdende Gesellschaft ist nicht an die Fernbedienung gekettet. Meine Eltern sind weit über 70, wissen aber, wie Podcast funktioniert. Selbst die Nutzungsgewohnheiten von älteren Menschen wechseln. Deshalb ist es für mich nicht so sehr die Frage, wie viele Senderketten es in zehn Jahren noch gibt, sondern wie sich das Nutzungsverhalten verändert. Seit wann gibt es Smartphones? Und hätten wir es vor 15 Jahren für möglich gehalten, dass sich der Medienkonsum dermassen auf diesen kleinen Bildschirm fokussiert? Ich kann dem Publikum nicht vorschreiben, wo es uns konsumieren soll.
Nein. Unsere Konkurrenz ist nicht ein anderer Fernsehsender, sondern alles, was die Aufmerksamkeit des Publikums anzieht. Das kann ein anderer Bildschirm sein, eine Spielkonsole, eine App, alles. Deshalb ist der Markt viel grösser und der Vergleich mit einem anderen Sender obsolet geworden.
Wir suchen nach Synergieeffekten zwischen dem, was am Fernsehen stattfindet, und dem, was wir online machen könnten. Eine ganz simple Idee: Der Anteil des jüngeren Publikums ist bei «Happy Day» oder «SRF bi de Lüt: Live» sehr hoch. Die Frage ist: Können wir die Inhalte von «Happy Day» nutzen und in irgendeiner Form online ausbauen oder ausspielen? Dafür müssen wir nicht eine ganz neue Sendung erfinden. Aber etwas, das mit dem Kern und den Protagonisten von «Happy Day» zusammenhängt. Der andere Weg: Kann ich mit geringeren Mitteln als denen, die ich im Fernsehen ausgebe, Inhalt so präsentieren, dass ich eine dezidierte Zielgruppe erreiche? In diesem Zusammenhang entwickeln wir ein auf Online ausgerichtetes Konzept mit Susanne Kunz, wo es um junge Eltern geht. Aus unserer Sicht ist das sinnvoll, weil wir damit auch eine nachwachsende Zielgruppe ansprechen. Ob das auf Facebook, Youtube oder Instagram stattfinden wird, ist noch offen.
Letztendlich geht es um die Frage, dass Eltern unter dem Druck stehen, alles perfekt machen zu müssen, aber regelmässig daran scheitern. Wir sagen: Das ist okay. Es geht aber unter anderem auch darum, wie man Berufs- und Familienleben unter einen Hut bringen kann. Haben Sie Kinder?
Und wie halten sie es mit Spielen an elektronischen Geräten? Geht’s schon los?
Und, gibt’s eine zeitliche Beschränkung für die Kinder?
Und das ist für viele Eltern ein riesiges Problem. Was ist ein adäquates Mass? Und ist es überhaupt sinnvoll, die Kinder unbeaufsichtigt am Smartphone spielen zu lassen? Das sind Themen, da spürt man die Unsicherheit der Eltern. Ich sage nicht, dass wir mit dem neuen Format die Lösung präsentieren werden. Aber wir beschäftigen uns damit. Ein anderes Thema sind Kindergeburtstage. Da tobt ein regelrechter Wettkampf. Auch dem wollen wir uns widmen.
Unsere Konkurrenz ist nicht ein anderer Fernsehsender, sondern alles, was die Aufmerksamkeit des Publikums anzieht.
Wenn alles gut geht im Frühling 2019.
Ja, aber der Freitagabend ist genauso wichtig geworden. Aus Spargründen verzichten wir am Samstagabend aber grösstenteils auf einmalige Shows. Wir wollen vermehrt auf Serielles wie «Happy Day» setzen, was so produktionell günstiger ist. Ein Versuch, der am Samstagabend erfolgreich gestartet ist, heisst «Wer wohnt wo?». Damit versuchen wir, den Samstagabend weiterhin hochwertig zu besetzen. Aber wir dürfen uns nichts vormachen: So etwas wie «Die grössten Schweizer Talente» können wir uns in dieser Form nicht mehr leisten.
Da ist nichts dran. Einzige Ausnahme ist, wenn das Publikum im Sommer am Strand liegt. Wichtig ist, dass das Samstagabend-Programm in der Regel einen klaren Schweizer Bezug hat.
Das leisten die sich nicht.
Netflix macht bereits deutsche Produktionen. Aber in der Schweiz lohnt sich das nicht, dafür ist der Markt zu klein. Schweizer Sujets wie bei «Wilder» oder «Seitentriebe», das werden wir bei Netflix als Eigenproduktionen nie sehen.
Unsere Verpflichtung ist es, die Themen hier spielen zu lassen, in der Lebenswelt unseres Publikums. Darum kümmert sich jemand wie Netflix nicht – nicht in einem solch kleinen Markt.
Das will ich nicht bezweifeln. Und die Konkurrenzsituation wird sich bestimmt verschärfen. Aber unsere Chance ist es, Themen aufzugreifen, die hier spielen.
Wir hatten mit der Web-Serie «Nr. 47» über 1,9 Millionen Views. Weil sich die Sendung im Kern an 18- bis 24-Jährige richtet und in der Zielgruppe 90 Prozent erreicht, lautet die Antwort auf Ihre Frage klar: Ja. Dass Netflix und andere die Aufmerksamkeit von uns weglenken können, ist gar keine Frage. Aber sorgen müssen wir uns nicht, dass sie Schweizer Themen aufgreifen. Die einzige Frage, die sich noch stellt: Wann beginnen diese Plattformen, Unterhaltungsformate zu produzieren. Es gibt Signale, die darauf hindeuten, dass dies schon bald passiert. Jetzt ist die Frage: Wie gross ist der globale Ansatz solcher Unterhaltungssendungen? Das könnte einen negativen Einfluss auf das Interesse an unseren Inhalten haben.