Obacht, ansteckend: Am Eröffnungswochenende hat das Jungspund-Festival für junges Publikum der Viruspanik mit grandiosem Theater getrotzt.
Wie ein Wächter hockt er vor der Rondelle der St.Galler Lokremise und wächst und wächst und wächst. Am Donnerstag sind es nur ein paar zusammengenagelte Dachlatten. Am Freitag kann man bereits unter den angewinkelten Beinen des Riesen durchspazieren. Am Samstag zur Dämmerstunde ist es dann so weit: Da wird dem «Fätze» der Kopf montiert, und keiner wagt mehr, sich der links oben prangenden Sprechblase zu widersetzen. «Spielt!» ist der kategorische Imperativ des zweiten Jungspund-Festivals – und er gilt drinnen ebenso wie draussen.
Man kann mitwerkeln am «Fätze», dem hölzernen Work-in-Progress des Kollektivs hochhinaus, oder sich am Feuer Geschichten erzählen. Vielleicht sitzt man nach einer Vorstellung ebenso versonnen wie der "Fätze" auf einem der Sofas im Foyer oder rund um die Festivalbar. Bis sich jemand dazugesellt, der übersprudelt vor Eindrücken: kein Wunder bei einem so reichen Programm in so ungezwungenem Rahmen.
Jungspund richtet sich ans junge Publikum, mit Stücken ab fünf Jahren, ab acht, ab zehn, ab 14. Doch wer sich umschaut, während und nach den Vorstellungen, der wird feststellen: «Jung» ist ein dehnbarer Begriff. Man kann es im Herzen und im Kopf sein, auch mit grau meliertem Haar. Gerade am Donnerstagabend zur Eröffnung fehlten weitgehend die Acht- bis Zehnjährigen, für die Tabea Martin ihr Tanztheaterstück «Forever» entwickelt hat. Übrigens nicht nur für sie: Partizipation ist im Kinder- und Jugendtheater kein kulturbürokratisches Schlagwort, sondern gut verankert und oft Teil des Produktionsprozesses. Viele Truppen beziehen ihr Zielpublikum in die Entwicklung der Stücke ein.
Zusammen mit den Tänzern hat Tabea Martin Dritt- bis Fünftklässlern über Tod und Unsterblichkeit befragt, die Kinder später zu einer Probe und zur Premiere eingeladen. «Forever» ist wild und witzig, es kennt keine Tabus: Fünf Unsterbliche versuchen hier, irgendwie – möglichst spektakulär und theatralisch, auch sehr wortreich – ums Leben zu kommen. Es fliesst viel Blut: Der im Raum hängende Plastikkanister mit Randensaft scheint nie leer zu werden. Mit der Sauerei auf den weissen Planen haben die Tänzer reichlich zu tun; das Publikum lacht sich derweil die Scheu vor dem Thema vom Leibe.
Innehalten im Alltagsdurcheinander, die Zeit vergessen in einer lauten, schnellen, komplizierteren Welt – das könne man im Theater, sagte Schauspieldirektor Jonas Knecht als einer der Redner an der Festivaleröffnung. Theater trumpfe auch in der Generation Netflix mit dem Hier und Jetzt, mit physisch anwesenden Menschen. Selbst wenn sie so tun, als könne sie nichts mehr umbringen, als seien sie auch in fünf oder fünfhundert Jahren immer noch da. Im Gegensatz zu uns, die wir mit ihnen denken, fühlen, leiden. Auf diesem Grat balanciert «Forever» und tut dabei so harmlos drastisch wie Kinder, die Mord und Totschlag spielen.
Um Leben und Tod geht es auch in Ulrich Hubs «An der Arche um Acht»; die Koproduktion des Figurentheaters St.Gallen mit dem Kollektiv EOBOFF hatte am Freitag Vorpremiere, am Samstag Premiere. Drei Pinguine entgehen in dem hochkomischen Stück der Sintflut. Doch müssen sie Gott, Noah und die Taube austricksen: ein Kinderspiel für Frauke Jacobi, Lukas Bollhalder und Sebastian Ryser. Die Besprechung des Stücks finden Sie hier.
Wird hier die Klimakatastrophe fröhlich vorweggenommen, so rücken in «Pool Position» des Jungen Theaters Basel (Regie: Suna Gürler) die Flüchtenden, die übers Mittelmeer kommen, in den Nahbereich der Rich Kids aus dem Villenviertel. Ein starkes Stück, von den blutjungen Schauspielern so überzeugend am Beckenrand eines Pools gespielt, dass es niemals gemütlich wird. Tief lässt es eintauchen ins Lebensgefühl von Teenagern zwischen Idealismus und gefühlter Wirkungslosigkeit.
Viel wird am Festival geredet, dabei sind Wörter keineswegs umsonst: Jedenfalls nicht, wenn sie aus der «Wörterfabrik» der Luzerner Equipe wiss kommen. Isa Wiss ist dort der Boss, Dauergequassel kann sie sich also leisten. Noch schöner ist es, wenn sie singt und jammt mit ihren Angestellten oder Mängelexemplare repariert. Der Wert der Wörter wird dabei bewusst – und Sprache zu Musik.
Bis 7. März. Programm unter jungspund.ch