Sharrie Williams macht die Festhalle zur Gospelkirche – alles steht auf und klatscht und tanzt. Das 8. Bluesfestival Frauenfeld war das bisher abwechslungsreichste und stärkste.
Wo ist die Sängerin? Eben stand sie doch noch auf der Bühne. Alle hören sie, keiner sieht sie, nur der Drummer begleitet die schwarze Stimme. Dann taucht Sharrie Williams auf. Sie hat sich zu drei Zuhörerinnen gesellt, geht von Tisch zu Tisch, singt sich die Seele aus der Brust. Und die siebenhundert Zuhörer stehen auf und klatschen den Takt und tanzen zwischen Tischen und Bänken und singen den Refrain mit: «We gotta say yes.»
Diese Sängerin packt alle mit ihrer persönlichen Interpretation des Blues, der ihr aus der Drogensucht geholfen hat. «Thank you for letting me be myself»: Danke, dass ich ich sein darf.
So nah und authentisch hat das Bluesfestival Frauenfeld noch nie geklungen. Sharrie Williams aus Michigan beendet Samstagnacht die achte Ausgabe – und überzieht, weil alle nach mehr rufen, mit einem leisen Lied als Zugabe, begleitet nur vom Gitarristen: ein Dank an das, was wir haben.
Blenden wir zurück. Freitagabend, 20 Uhr. Den schwierigen Anfang macht Estella Benedetti und ihre Band, Michael Giger ist der neue Gitarrist. Sie steigen kraftvoll ein mit Bluesrock. Eine Stimme mit Druck, ein flinker Gitarrist, der sein Handwerk versteht. Wenn da nur nicht diese Posen vorn am Bühnenrand wären: Estella Benedettis Tänzeln wirkt wie von einer Choreografin vorgegeben, Gitarrist Michael Giger kann auch Texasrock nicht ohne sein Lächeln. Blues verkommt zur Unterhaltungsmusik. Und nach dem letzten Stück, «Come on in My Kitchen» des Delta-Blues-Meisters Robert Johnson, bleibt der Applaus flau.
Stampfend und gut eingespielt die Vargas Blues Band aus Argentinien: einfache und tanzbare Stücke wie Willie Dixons «Spoonful» oder der eigene «Black Cat Boogie». Und der coole Xavier Vargas bleibt der verspielte Bub mit Sonnenbrille.
Diese Stimme! Farbenfroh, mit einem Hauch Swing und viel Soul! Eine finnische Aretha Franklin! Ina Forsman braucht keinen Gitarristen – erst zum Schluss des Sets gesellt sich Michael Giger als Gast zur Band um den Drummer Jaakko Pöyhönen.
Mit einer ebenso eindrücklichen Stimme hebt der zweite Abend an. Christina Jaccard hat sich zum Glück nicht der Oper zugewendet, sondern ihrem Vorbild Etta James – zwei ihrer Lieder interpretiert sie neu. Und Gitarrist Kai Strauss hat keinen Firlefanz nötig, er hält das dramaturgisch geschickt gestaltete Set zusammen.
Seit vierzig Jahren spielt die deutsche Blues Company um Todor Todorovic, doch da ist keine Spur von Müdigkeit, nicht einmal von Routine. Neben «The Blues Been Good to Me» fällt Robert Johnsons «Walking Blues» auf, den der zweite Gitarrist Mike Titre zu einem rasanten Ritt macht. Und das Publikum bedankt sich für den Anti-Kriegs-Blues «Red Blood», das an keinem Auftritt der Blues Company fehlt.
Rudolf Laubacher, der künstlerische Leiter, hat das Bluesfestival zu Frauenfelds wichtigster Konzertreihe neben dem Open Air gemacht. Die achte Ausgabe war die bisher abwechslungsreichste und berührendste.
Dieter Langhart