Die Königin des Fado ist vor 100 Jahren geboren. Die portugiesische Sehnsuchtsmusik hat ihre Kraft bis heute bewahrt. Eine neue Generation von Fadistas bewahrt ihr Erbe.
Über ihr richtiges Geburtsdatum wird immer noch gerätselt. Im Pass soll der 21. Juni 1920 stehen. Sie selbst wusste es aber nicht so genau und nannte meist den 1. Juli. Bei Wikipedia wird dagegen der 23. Juli genannt. Einig ist man sich aber über ihre Bedeutung: Amália Rodrigues ist die Stimme Portugals. Die Sängerin, die jetzt 100 Jahre alt geworden wäre, ist in ihrem Heimatland längst eine Legende, ein nationaler Mythos, ein Monument und eine Heilige.
Sie war die Königin des Fado, Portugals Schicksalsgesang. Wie keine andere hat sie in ihren Liedern das portugiesische Lebensgefühl «Saudade», diese unstillbare Traurigkeit und Sehnsucht nach einem unerfüllbaren Lebensglück, diese Wehmut und dieser ewige Schmerz vertont. In Portugal ist die Leidensfähigkeit ein Wert. Deshalb erzählen Fado-Lieder am liebsten von den traurigen Geschichten des Lebens. «Wenn man hellsichtig ist, ist man traurig. Der Fado ist traurig, weil er hellsichtig ist», erklärte Amália Rodrigues selbst einmal.
Hier die historische Aufnahme aus dem Jahre 1969:
Woher der Fado kommt, weiss niemand so genau. Er soll auf die Mauren zurück gehen, die im 12. Jahrhundert von den Portugiesen aus Lusitanien verdrängt wurden. Andere sprechen von afrikanischen, arabischen und brasilianischen Einflüssen. Entstanden ist er Anfang des 19. Jahrhunderts in den Armenvierteln von Lissabon. Dort, wo die melancholischen Lieder den Unterprivilegierten ein Ventil für ihren Fatalismus boten. Fado erfüllte also für die Armen eine ähnliche Funktion wie einst der Blues für die Schwarzen in den USA.
Als eines von zehn Kindern hat Amália Rodrigues die Armut in ihrer Jugend am eigenen Leib kennen gelernt. Als Kind musste sie mithelfen, um die Familie durchzubringen, und sang schon früh vor Publikum. Ihre Karriere als Fado-Sängerin begann sie Ende der 30er-Jahre. Schon bald erlangte sie nationale Berühmtheit, machte den Fado mit ihrer unnachahmlich berührenden Stimme gesellschaftsfähig und zu einer identitätsstiftenden Musik von ganz Portugal.
Schliesslich trug sie den Fado in die ganze Welt. Der internationale Durchbruch gelang ihr mit dem Lied «Coimbra», das als «Avril au Portugal» und dann als «April in Portugal» ab den 50er-Jahren weltweite Erfolge feierte. Der Aufstieg von Königin Amália Rodrigues aus dem Armenviertel verkörpert auch die Karriere des Fado, von der Arme-Leute-Musik zur grossen Kunst.
Nach der Nelkenrevolution 1974 wurde Amália Rodrigues beschuldigt, sie habe sich vom faschistischen Regime von Diktator Salazar instrumentalisieren lassen. Als Symbol des alten Regimes galt sie den Revolutionären als suspekt. Doch Rodrigues konnte glaubhaft belegen, dass sie Politik nie interessiert habe. Weshalb sie schliesslich vom demokratischen Portugal rehabilitiert und mit den höchsten Orden des Landes dekoriert wurde. Als sie 1999 starb, wurde eine dreitägige Staatstrauer verordnet. 2011 wurde der Fado von der Unesco gar in der Kategorie «immaterielles Welterbe» aufgenommen und als besonders schützenswert befunden.
Doch um den Fado muss man keine Angst haben. Wer heute nach Portugal und vor allem in die Hauptstadt Lissabon reist, kommt um Fado nicht herum. Die portugiesische Nationalmusik hat nichts an ihrer identitätsstiftenden und tröstenden Kraft verloren.
Noch vor dem Tod von Amália Rodrigues begannen andere Fadistas den Fado zu erneuern. Die traditionelle Form wird in der Regel von einer klassischen und einer portugiesischen Gitarre begleitet. Ab den 90er-Jahren begannen Fadistas wie Mísia mit neuen Instrumentierungen, mit zeitgenössischen und aktuellen Texten zu experimentieren und haben so die Tradition erfolgreich modernisiert und aktualisiert.
Heute besteht eine neue Generation – vor allem wieder Sängerinnen (siehe rechts), aber auch wenige Sänger –, die sich auf Amália Rodrigues berufen und den Fado in die Welt tragen.