Er kaufte Picassos für einen Franc

Der Hamburger Claus von der Osten ist einer der bedeutendsten Sammler von Künstlerplakaten. Seit 50 Jahren kauft er Werke von Warhol, Lichtenstein und Miró. Jetzt zeigt er in einem Appenzeller Haus Wald seine Plakate von Jean Dubuffet, dem Vater der Art Brut. Ein Leckerbissen für Kunstliebhaber.

Melissa Müller, Hamburg
Drucken
Claus von der Osten lebt in Hamburg inmitten seiner spektakulären Plakatsammlung. Er interessiert sich ausschliesslich für Plakate, die Künstlerinnen und Künstler gestaltet haben. (Bild: Melissa Müller)

Claus von der Osten lebt in Hamburg inmitten seiner spektakulären Plakatsammlung. Er interessiert sich ausschliesslich für Plakate, die Künstlerinnen und Künstler gestaltet haben.
(Bild: Melissa Müller)

Die Hamburger Wohnung von Claus von der Osten ist mit frischen Blumen, Kerzen, Kunstbüchern und Kunstplakaten eingerichtet. «Pissing into the Mouth of Donald Trump», steht etwa auf einem gelben Plakat. Und «Eat Ass Pray Love», in Anlehnung an den schnulzigen US-Bestseller «Eat Pray Love».

Andy Warhol getroffen

Etliche zeitgenössische Stücke, die sich Claus von der Osten an die Wand hängt, sind politisch und nicht ganz jugendfrei. Vieles davon findet der pensionierte Kunstlehrer in New York. «Eigentlich sammle ich ja nur Papier», sagt er und zieht einen Warhol aus einer Schublade. «To Claus, Andy», steht in Handschrift neben einem Boxer. Der Sammler traf den Pop-Art-Star an einer Kunstmesse.
Er reist für seine Plakate um den Globus, ist Stammgast an der Documenta und an der Art Basel. Der umtriebige Herr mit den stahlblauen Augen sammelt seit 50 Jahren Plakate. Er begann damit, als Maler wie Picasso, Miró und Leger für jede ihrer Ausstellungen ein Künstlerplakat entwarfen. «Sie zeichneten die Motive direkt auf den Lithostein», sagt von der Osten, der sich nur für Plakate interessiert, die von Künstlern gestaltet wurden. Normale Ausstellungsplakate von Grafikern sind für ihn nicht von Belang.

Knallig und schräg: Die Plakate von Jean Dubuffet kommen im Künstlerhaus Birli in Wald AR gut zur Geltung. (Bild: Felix Boekamp)
2 Bilder
Ein weiteres Plakat von Dubuffet, der zu den grossen Künstlern der Moderne gehört. Die Fondation Beyeler richtete vor drei Jahren eine grosse Schau aus. (Bild: Felix Boekamp)

Knallig und schräg: Die Plakate von Jean Dubuffet kommen im Künstlerhaus Birli in Wald AR gut zur Geltung. (Bild: Felix Boekamp)

Böse Fratzen, in den Teig geknetet

Mit 18 Jahren wurde Claus von der Osten in einer Galerie auf den französischen Künstler Jean Dubuffet aufmerksam. Der Maler schuf Bilder, die seine Zeitgenossen verstörten. Er knetete groteske Gesichter in den schmutzigen Teig seiner Ölfarben. Füllte die Leinwände mit lachenden nackten Männchen. «Donnerwetter, das sieht heiss aus», dachte sich der Student – und kaufte sich für eine Mark ein Plakat. Heute besitzt er die grösste Dubuffet-Plakatsammlung weltweit.

Eine besondere Freundschaft

Am 10. März zeigt er sie im Künstlerhaus Birli im ausserrhodischen Wald. Dass die aussergewöhnlichen Stücke in einem abgelegenen Appenzeller Haus hängen werden, kommt einer kleinen Sensation gleich: Dubuffet (1901–1985) gehört zu den ganz Grossen der modernen Kunst. Dass die Kunstplakate den Weg von Hamburg nach Appenzell Ausserrhoden finden, ist der Freundschaft von Claus von der Osten mit Künstler Felix Boekamp geschuldet. Der Stipendiat bewohnt derzeit mit Künstlerfreund Ilija Lazarević für ein Jahr das Atelierhaus der Schlesinger-Stiftung, wo sie die Dubuffet-Ausstellung ausrichten - samt eigens dafür gestaltetem handgemachtem Siebdruck-Plakat.

«Ein richtiger Sammler ist auf eine Komplettierung der Sammlung aus», sagt Claus von der Osten. Von Miró etwa besitzt er 200 Exemplare – alle, die der Spanier jemals geschaffen hat.

Stammgast in Paris

In der Kunstszene kennt man den vitalen Mann, der stets ein schickes Hemd trägt und immer gut aufgelegt scheint. Manche Antiquitätenhändler schauen verstohlen, wenn sich Claus von der Osten in ihrem Laden einen Druck ansieht. Dann hoffen sie, das Stück sei besonders wertvoll. Schon als Teenager fing er Feuer für die Kunst. Aber in der Provinz in Hameln, wo er aufwuchs, gab es weit und breit kein Museum. Als er mit 16 Jahren erstmals eine Galerie betrat, ging für ihn eine neue Welt auf. Von da an reiste Claus von der Osten zweimal im Jahr zu einem Onkel nach Paris und klapperte Galerien ab. «Heute ist ja alles todschick, aber damals gab es so Krippen mit Plakaten drin, das ist heute tabu.» Da stöberte der Norddeutsche «die schönsten Picassos» auf, frisch aus der Druckerpresse. «1 Franc» stand da mit Bleistift drauf. «Die sind heute mehrere tausend Franken wert.» Das sei ein tolles Hobby, auch für junge Menschen mit wenig Geld. Künstler wie Miró sagten sich damals:

«Ich will, dass sich jeder meine Lithografien leisten kann.»

Es ging um eine Demokratisierung von Kunstbesitz. Picasso war einer jener Künstler, in denen sich in aufsehenerregender Weise Kunst und Politik trafen – ebenso wie Miró, der sich auch für die Unesco oder Amnesty International anspannen liess.

Ein weiteres Meisterstück von Jean Dubuffet. (Bild: Felix Boekamp)

Ein weiteres Meisterstück von Jean Dubuffet. (Bild: Felix Boekamp)

Die Roy-­Lichtenstein-Plakate gab er dem Museum

Nach seinem Studium an der Hamburger Kunstakademie übernahm von der Osten dort die Leitung der Keramikwerkstatt. Später gab er Kunstunterricht und nahm seine Plakate oft mit in die Schule. «Wir malten die Bilder oft ab.» Eine eigene Künstlerkarriere verfolgte er nicht: «Ich habe in den Sachen, die andere Künstler machen, immer Besseres gesehen. Man muss an seine Kunst glauben. Und denken: Au ja, das mache ich.» Diesen Drang habe er nicht verspürt.

«Ich kenn ja einige Leute, die es mit der Kunst versucht haben. Das ist alles nicht so doll geworden.»

Der Sammler schenkt dem Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg immer wieder Plakatreihen – etwa von Roy Lichtenstein. «Dank Claus von der Osten haben wir die grösste Kunst­plakatsammlung der Welt», sagt Jürgen Döring, der Leiter der Grafischen Sammlung und der Plakatsammlung. Eine Win-win-Situation. So könne er seine Plakate ­jederzeit im Museum besuchen, sagt von der Osten. «Ach, ich habe ja keine Kinder, die ich damit belasten könnte, ne?», sagt er. «Ich kann die Plakate ja nicht mit auf den Friedhof nehmen. Es sind schöne Sachen. Das hat ja sonst keiner gesammelt.»

Vernissage im Künstlerhaus Birli der Schlesinger Stiftung in Wald AR am Sonntag, 10. März, 14 Uhr. Jürgen Döring vom Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg hält einen Vortrag über das Künstlerplakat.

Jean Dubuffet: Vater der Art-brut-Bewegung

Der französische Maler und Bildhauer Jean Dubuffet war fasziniert von der rohen, antiintellektuellen Kunst von Autodidakten, besonders von Kindern und Menschen mit einem psychischen Leiden. Auch Graffiti inspirierten ihn. Er ahmte die Techniken der gesellschaftlichen Aussenseiter nach. Das machte ihn zum «Vater der Art brut». Dubuffet arbeitete manisch und in grossen Serien.
Geboren am 31. Juli 1901 in der Hafenstadt Le Havre, lernte er Weinhändler wie sein Vater. Erst mit über 40 Jahren wandte er sich der Kunst zu. Er probierte auch ungewöhnliche Materialien aus. Seine Ölfarben dickte er mit Sand, Teer und Stroh ein und bearbeitete sie dann mit Spachtel und Messern, was den Gemälden eine reliefartige Struktur gibt. In der frühen Nachkriegszeit erregte er mit seinen «primitiven» Materialbildern einen Skandal, erlangte aber internationale Bekanntheit, insbesondere in den USA. Nach seinem Tod 1985 wurden auch seine musikalischen Experimente – mit Asger Jorn – bekannt, ebenso sein schriftstellerisches Werk. Dubuffet hinterliess über 2500 Kunstwerke, die Künstler wie Basquiat, Keith Haring und Claes Oldenburg beeinflussten. (mem)